Splitterherz
Die verbliebenen Spinnen in meinem Zimmer waren mir gleichgültig. Sollten sie sich doch häuslich einrichten. Erschauernd schlang ich die Decke um meinen Körper.
Ich würde Colin Wiedersehen. Koste es, was es wolle.
»Du stures kleines Ding«, flüsterte es in meinem Kopf. Aber ich war schon eingeschlafen.
Reitvorschriften
Am Samstag weckte mich das schrille Klingeln meines Handys. Ich begriff nicht sofort, was da gerade passierte und was ich zu tun hatte, um diesem nervenaufreibenden Lärm ein Ende zu bereiten. So lange hatte mich niemand mehr auf dem Handy angerufen. Es lag wie immer auf der Fensterbank neben der Tür, in der einzigen Zimmerecke, wo es schwachen Empfang hatte.
»Ja?«, meldete ich mich verschlafen. Es knackte und rauschte in der Leitung. Noch immer standen drei Fenster offen. Frostig streifte der Wind meine nackten Beine.
»Ellie? Bist du das? Ellie, du musst mir helfen.« Eine typische Mädchenstimme, hell und heiter. Eindeutig Maike. »Hörst du mich?«
»Ja. Jaaa. Maike, es ist gerade ... halb sieben«, gähnte ich mit einem trüben Blick auf die Uhr.
»Ellie. Du musst mir helfen. Meine Schwestern haben die Windpocken, meine Mama springt hier im Dreieck und ich muss doch die Kuchen zum Turnier in Herhausen bringen. Ellie? Hörst du zu?«
Ich rieb mir mit der linken Hand den Schlaf aus den Augen und versuchte, ihren Wortschwall zu ordnen. Windpocken. Turnier. Kuchen.
»Kuchen?«, echote ich heiser und räusperte mich hüstelnd.
»Ja.« Maike schnaufte durch. »Ich helfe da später beim Schreiben für die Dressur und soll auch Kuchen für die Cafeteria mitbringen und meine Mutter kann mich jetzt nicht fahren und deshalb wollte ich dich fragen, ob du mitkommst und mir tragen hilfst, denn alleine schaffe ich das einfach nicht.« Das waren mindestens fünf Unds zu viel für mich.
»Turnier? Du meinst - mit Pferden?«, fragte ich argwöhnisch.
Maike lachte. »Ja, natürlich, mit was denn sonst?«
»Maike, ich weiß nicht, ich - ich bin gerade erst wach geworden und ...« Irgendwie konnte ich mich immer noch nicht überwinden, Maike zu gestehen, dass ich mich vor Pferden fürchtete. Im Hintergrund hörte ich eine von Maikes Schwestern weinen. Ein jämmerliches, fiebriges Kinderweinen.
Aber - wollte ich heute nicht zu Colin? Dieser Gedanke kam mir in der grellen Morgensonne und angesichts solch bodenständiger Probleme wie innerfamiliärer Windpockenepidemien plötzlich absurd vor. Nein, nicht nur absurd, sondern auch gefährlich. Denn ich wusste lediglich, dass Colin kein Mensch sein konnte. Aber was war er dann? Irgendein anderes Dunkelwesen? Gab es überhaupt andere Spezies außer den Menschen und den Mahren? War er ein Feind der Mahre oder vielleicht doch einer von ihnen? Ich konnte jedenfalls keine Gemeinsamkeit zwischen ihm und diesem Dämon aus Papas Erzählung erkennen, an die ich mich nun wieder genau erinnerte.
Vor allem aber musste ich mich erst vergewissern, ob Papa durchschaut hatte, dass ich seinen magischen Spielereien widerstanden hatte.
»Es sind eine Himbeertorte und ein Marmorkuchen«, raspelte Maikes Stimme aus dem Hörer. Jetzt klang sie gestresst. »Nadine und Lotte sind in Koblenz shoppen, die können mir nicht helfen. Und Benni ist mit dem Schützenverein unterwegs. Bitte, Ellie.«
Ich seufzte. Wenn mich jemand um Hilfe bat, konnte ich nicht Nein sagen. Das war so ein uraltes, blödes Ellie-Gesetz.
»Wann soll ich dich abholen?«
Maike jauchzte auf. »So schnell wie möglich. Wirst sehen, das ist lustig dort. Wir können uns auch noch die S-Dressur anschauen. Bis gleich!« Himbeertorte und S-Dressur. Na denn.
Anderthalb Stunden später lehnte ich frierend an dem blumenbehangenen Holzzaun eines ordentlich präparierten Dressurplatzes und schielte unauffällig nach der wolligen Pferdedecke, die jemand auf dem Boden liegen gelassen hatte. Was wäre es für eine Wohltat, sie um meine Hüften zu wickeln. Mein enges Shirt war zu kurz und meine Jeans saß eindeutig zu tief. Mein Bauch war eine arktische Zone.
Ich drehte mich suchend um. Maike hatte mich allein gelassen, um den Kuchen anzuschneiden und irgendwelche Startnummernbögen zu holen und Zeitpläne zu checken und weiß der Geier alles.
»Kannst dir ja den Stall anschauen«, hatte sie mir im Gehen zugerufen, doch das kam für mich einem Selbstmordkommando gleich. Ich war umringt von nervösen Pferden und noch nervöseren Reitern, wobei mir Ersteres definitiv mehr
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