Splitterherz
Schmerz öffnet die Seele. Außerdem macht ein gewisser Blutverlust schwach. Das kann helfen. Der Rest ist Magie. Es ist einfach so. Ich habe es nicht erfunden.«
»Hmpf«, machte ich grimmig und schüttelte mich kurz. »Mir reicht es auch fürs Erste. Und dann noch diese unheimlichen Tarotkarten ...«
»Tarotkarten?« Colin runzelte die Stirn. Es sah glaubwürdig aus. Ich klaubte sie vom Holzboden und gab sie ihm. Unsere Fingerspitzen berührten sich kurz. Er betrachtete die Karten nachdenklich.
»Der Mond und die Türme. Woher hast du sie?«
»Die eine wurde unter der Tür durchgeschoben. Die andere flog durchs Fenster.«
Colin überlegte eine Weile.
»Ich denke, dass dich jemand warnen möchte. Und es müsste noch eine Karte kommen. Beim Tarot werden meistens drei entscheidende Karten gezogen. Eine für die Vergangenheit, eine für die Gegenwart, eine für die Zukunft. Und die fehlt wohl bislang. Leg dich auf die Lauer.«
Fantastisch. Noch eine Aufgabe. Das war ja eine erholsame erste Ferienwoche. Während Jenny und Nicole sich auf Ibiza von der Sonne des Südens bräunen ließen, musste ich gefahrenliebende Teenager aufhalten und mich in den eigenen vier Wänden auf die Lauer legen. »Sie sind nicht von dir, oder?«, vergewisserte ich mich.
»Ich habe andere Methoden, wenn ich jemandem etwas mitteilen will«, entgegnete Colin mehrdeutig. Oh ja, die hatte er. »Wie sieht es mit diesem Benni aus? Hast du ihn in den letzten Tagen noch einmal gesehen?«
»Benni?«, fragte ich verwirrt. »Benni tut doch keiner Fliege was zuleide.«
»Zumindest nicht absichtlich«, sagte Colin sardonisch. »Benni steckt seine Nase überall hinein und ganz besonders gerne in Dinge, die ihn nichts angehen. Er will jeden kennen und über jeden alles wissen. Er meint es gut, aber er ist dadurch gefährlicher, als du denkst. Gib ihm niemals zu viele Informationen über dich. Verheimliche, dass du mich kennst. Wenn er uns auf die Schliche gekommen ist, haben wir ein Problem.«
Ich seufzte noch einmal - nicht aus Erleichterung, sondern weil die Rätsel und Aufgaben mich jetzt schon zu belasten begannen. Und Colin hatte nicht ganz unrecht. Er war Benni aufgefallen. Benni hatte mich sogar vor ihm schützen wollen.
»Da war noch was. Ein Anrufer. Er klang seltsam«, berichtete ich weiter. »Er wollte meinen Vater sprechen - und nannte seinen alten Namen. Leopold Fürchtegott.«
Allmählich wurde es unbequem auf der Bettkante. Ich versuchte, unauffällig meinen einschlafenden Hintern auszubalancieren, ohne dabei krumm und bucklig zu werden.
»Komm«, sagte Colin und breitete seinen linken Arm aus. Zögernd schaute ich ihn an. Er machte eine leichte Bewegung mit dem Kinn. Interpretierte ich das richtig?
»Es gibt keine zweite Einladung.« Na gut. Ich rückte zum Kopfende und lehnte mich an seine kühle Schulter. Das war wunderbar, aber es erschwerte das Denken. Locker ruhte sein Arm an meiner Taille. Jetzt registrierte ich wieder das pulsierende Rauschen in seinem Körper. Meine Gedanken verhedderten sich, als meine Wange an seine Brust rutschte.
»Lass uns später darüber reden«, schlug Colin vor. »Es ist ein so schöner Abend.«
»Hmhm«, sagte ich träge. »Aber dann auch wirklich«, setzte ich ohne rechten Nachdruck hinterher. Ich wollte am liebsten den Rest meiner kurzen Allein-zu-Hause-Ferienwoche hier verbringen. Hier an Colins ungemütlicher Brust und nirgendwo sonst.
»Möchtest du mich mal spüren, wenn meine Haut warm ist?«
Huch. Was war denn das für eine Frage? Ich spannte mich unwillkürlich an.
»Sie ist mir kühl eigentlich ganz recht«, nuschelte ich.
Colins Bauch erbebte. Der Mistkerl lachte über mich.
»Das meinte ich nicht«, sagte er. Er schmunzelte. Wieder gab es in meinem Herzen einen kleinen Vulkanausbruch. Colin drehte sich, um mich anschauen zu können. Und er tat es so ausführlich, als lese er meine Gedanken. Zuerst wollte ich ausweichen, doch dann erwiderte ich seinen Blick. Ich fühlte mich wie eine Ertrinkende. Wo nur konnte ich mich festhalten, um nicht unterzugehen? Nein, dieses delikate Thema, über das ich nicht einmal mit Jenny und Nicole gerne geredet hatte, würde ich anschneiden und nicht er. Ich musste Land gewinnen.
»Ich habe durchaus meine Erfahrungen«, begann ich reserviert.
»Daran hege ich keinerlei Zweifel«, sagte Colin und bemühte sich um einen angemessenen Gesichtsausdruck. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. Ich stieß ihm die Faust in die
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