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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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nichts gegen die Tränen tun, die mir über die Wangen liefen, sosehr ich es auch versuchte. Colin schüttelte reumütig den Kopf.
    »Ich wusste nicht, dass es dir so viel Kraft rauben würde.«
    Bitte mach es wieder. Lass es wieder geschehen, bat ich in Gedan­ken. Aber ich ahnte schon, dass er es kein zweites Mal zulassen wür­de. Verbissen kämpfte ich gegen eine neue Tränenflut an. Colin hing an meinem Gesicht. Er hatte Hunger.
    »Davon hab ich wahrhaftig genug«, sagte ich achselzuckend. »Kannst sie alle haben.« Doch er verharrte bewegungslos, ohne mich aus den Augen zu lassen. Verschlafen sah ich mich um. Ich lehnte an dem verwitterten Brunnentrog im Hof, dort, wo Colin mich abgesetzt hatte, nachdem ich aus dem totenähnlichen Schlaf hochgeschreckt und in die Bewusstlosigkeit geglitten war. Colin
    kauerte vor mir und beobachtete mich sorgenvoll und hungrig zu­gleich.
    Ich hob meine Hand und streifte ein paar Tränen von meinem Kinn.
    »Hier«, lächelte ich und legte ihm meine Finger an seinen Mund. Es kitzelte, als er davon aß, und ich musste lachen. Endlich ver­schwand der finstere Ausdruck von seinem Gesicht. Seine Mund­winkel entspannten sich.
    »Warum schmecken sie dir so gut?«
    »Na ja«, brummte er. »Sie sind wohl ehrlich.«
    Ja, das waren sie. Auch wenn man mir jahrelang das Gegenteil vorgeworfen hatte. »Heult sich ihre guten Noten zusammen«, stand einmal in der Schülerzeitung. Das hatte ich nie vergessen können.
    »Kannst du auch weinen?«, fragte ich ihn.
    »Nein«, sagte Colin. »Seit meiner Metamorphose nicht mehr. Ich kann traurig sein. Aber Tränen habe ich nur, wenn ich mit Louis gegen den kalten Wind galoppiere. Das erinnert mich daran, wie es war.«
    Die letzten, schon versiegenden Tränen holte er sich selbst. Dann ließ er den Kopf nach vorne sinken, sodass seine Stirn meine be­rührte.
    Jetzt küss mich schon, dachte ich forsch. Doch er stand auf und schüttelte sich kurz, als sei er selbst in Gefahr einzuschlafen.
    »Nun musst du etwas essen. Warte hier - oder setz dich auf die Bank, wenn du kannst.« Ich konnte. Meine Knie gaben kurz nach, als ich mich erhob, und ich lief ähnlich torkelnd wie Mister X, aber die Kraft floss nach und nach in meinen ausgelaugten Körper zu­rück.
    Ein paar Minuten später kam Colin mit einem großen Holzbrett, einem Glas und einer Flasche Rotwein aus dem Haus zurück. Aul dem Brett hatte er einen Laib Käse, Trauben und mehrere dicke
    Scheiben Brot angerichtet. Das Brot duftete betörend. Gierig brach ich ein Stück ab und stopfte es mir in den Mund. Es war noch besser als das Reh, das Colin für mich gebraten hatte.
    Ich schüttelte mampfend den Kopf, als Colin mir Wein anbieten wollte. Doch er bestand darauf. Zu meinem Erstaunen schmeckte er mild und sonnig und erwärmte augenblicklich meinen Bauch.
    »Was ist das für eine Sprache, die du manchmal sprichst?«, fragte ich, nachdem ich mich satt gegessen hatte. In meinem Mund ver­mischte sich die köstliche Süße der Trauben mit dem weichen, nus­sigen Nachgeschmack des Brotes. Ich schloss genüsslich die Augen.
    »Gälisch«, sagte Colin wehmütig. »Meine erste und liebste Spra­che. Die Sprache der Highlands.«
    »Wie viele Sprachen sprichst du denn?«
    »Ich glaube, zehn.« Colin wirkte ein wenig zerstreut, ja, fast un­geduldig. So viel Zeit hatten wir noch nie miteinander verbracht. Wurde er meiner wieder überdrüssig? Hatte er das, was er wollte, bekommen - meine Tränen? Ich hatte ihm doch klargemacht, dass ich keine Spiele mochte.
    »Was ist los?«, fragte ich ihn ohne Umschweife.
    »Wenn du noch über deinen Vater reden möchtest, dann sollten wir es jetzt tun. Ich kann nicht mehr lange hier sitzen bleiben.«
    Mein Vater. Den hatte ich völlig vergessen. Natürlich wollte ich über ihn sprechen. Aber ich hätte es lieber ohne Zeitdruck getan. Mit gebanntem Blick taxierte Colin den Waldrand. Seine Augen waren umschattet. Irgendwo im Gebüsch raschelte es leise. Das Rauschen in seinem Körper schwoll an und seine Ohrspitzen zuckten, sodass der oberste, breite Ring wieder zur Seite kippte.
    »Gut«, sagte ich gefasst. »Was tut er genau? Welche Rolle spielt er in eurer Welt?«
    Colin wandte sich mir zu. Sein Blick flackerte. Es kostete ihn Mühe, sich auf meine Frage zu konzentrieren.
    »Geht es? Alles okay?«, flüsterte ich, bereit, jeden Moment die Flucht zu ergreifen.
    »Ja. Keine Sorge.« Er versuchte zu lächeln, doch es wirkte gequält. »Es ist nicht das erste Mal, dass ich

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