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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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nicht strahlend, sondern matt und schwe­lend.
    »Danke, mir ging es selten beschissener«, antwortete ich wahr­heitsgemäß. Bevor er zu einer Rüge ansetzte, sollte er wissen, dass ich nicht ununterbrochen Jux und Tollerei betrieben hatte, während ich eigentlich auf Ibiza sein sollte.
    »Was macht diese Katze hier?«, fragte er weiter. Erst jetzt fiel mir Mister X auf, der sich kaum von Papas schwarzem Pullover abhob. Er hatte sich mit dem Hintern auf Papas Schoß gesetzt und den Leib fest an seine Brust gepresst. Mit den Vorderpfoten umschlang er Papas Hals. Anscheinend roch mein Vater für ihn ganz wunderbar.
    »Zugelaufen«, sagte ich knapp. Ich pflückte ihn wortlos von Papas Brust. Ich konnte meinem Vater nicht zeigen, wie froh ich war, ihn hier zu sehen. Da war eine Barriere, die ich einfach nicht überwin­den konnte. Also nahm ich den Kater und die Spinne und meine Schulsachen und ging nach oben. Früher wäre ich Papa um den Hals gefallen. Und jetzt? Jetzt testeten wir uns aus. Wie zwei Frem­de.
    Mit kribbelnden Händen holte ich das Terrarium aus der Kiste und stellte es auf meinen Nachttisch. Die Spinne hatte das Heim­chen restlos aufgefressen. Nicht einmal der Chitinpanzer war übrig. Träge hockte sie in der Ecke des Terrariums und rührte sich nicht. Ich deponierte die Zikaden im Badezimmer. Ich konnte ihr Zirpen nicht ertragen. Es erinnerte mich an die Nächte mit Colin.
    Ich begriff nicht, wie ich zu so etwas überhaupt fähig sein konnte, aber ich ließ das Terrarium direkt neben mir auf dem Nachttisch stehen und beobachtete die Spinne, bis mir die Augen zufielen.
    Nachts träumte ich, ich läge krank auf meinem Bett, um mich herum der Geruch von Moder und Verwesung. Hinter mir baumel­te etwas, ein schwerer, schlaffer Körper, der knochenlos über dem Bettpfosten hing. Es war meine eigene Leiche und ich musste sie wegschaffen. Das war meine Aufgabe. Ich musste sie wegschaffen.
    Doch immer wenn ich nach den kalten, weichen Armen griff, die mich im Nacken schleimig berührten, rutschten sie mir aus den Händen.
     

    Warnhinweise
     
    Drei Nächte später mischte sich ein helles, aber machtvolles Klirren in meine düsteren Träume. Ich schlug die Augen auf und schaute neben mich. Die Spinne war wach. Aggressiv sprang sie gegen das Glas des Terrariums, ließ sich auf den zerwühlten Sand fallen und sprang erneut. Ich richtete mich auf. Warum tat sie das? Ich hatte ihr noch vor dem Schlafengehen die letzte Zikade gegeben, wie jedes Mal mit einem Stich im Herzen. Doch die Spinne war eine geschick­te Jägerin. Die Zikaden starben schnell und ich hoffte inständig, dass sie dabei keine Schmerzen erlitten. Eigentlich müsste die Spin­ne satt sein. Doch nun sprang sic wieder und das Glas klirrte leise. Sie wollte raus.
    Ich musste ihr etwas zu fressen beschaffen. Irgendetwas. Eine Flie­ge oder einen Nachtfalter. Ich hatte Angst, dass es ihr gelingen könn­te, das Terrarium zu sprengen, obwohl das eigentlich unmöglich war.
    Ich hatte mittlerweile hinlänglich Erfahrung darin, mich durchs Haus zu schleichen. Ich wusste genau, welche Treppenstufen knarzten und über welche Dielen ich besser nicht gehen sollte, wenn ich keine Aufmerksamkeit erregen wollte. Und nur weil ich mich wie ein Indianer auf der Pirsch bewegen konnte, bemerkte ich, dass ich nicht die Einzige war. Hier war noch jemand wach. Gedämpfte Stimmen drangen aus Papas Büro - männliche Stimmen. Ich vergaß die Gefräßigkeit meiner Mitbewohnerin und ging auf leisen
    Sohlen in den Flur. Schwaches flackerndes Licht schimmerte unter der Tür des Arbeitszimmers hindurch. Ich beugte mich langsam nach vorne und drückte mein Ohr an das Schlüsselloch.
    »Und was haben Sie mir zu sagen?«
    Ich erstickte mein Aufkeuchen, bevor es jemand anders hören konnte. Mir selbst war es allerdings schon viel zu laut gewesen. Reg­los verharrte ich, bis ich mir sicher war, dass mich niemand bemerkt hatte. Aber ich hatte ihn bemerkt. Es war Colins Stimme gewesen. Colin war hier! Diese tiefe, männliche Färbung und dazu der leise Singsang, Überbleibsel des Gälischen - ja, es war Colin gewesen, der gesprochen hatte. Was zum Teufel hatte mein Vater ihm zu sagen? Kam jetzt wieder die »Halten Sie sich von meiner Tochter fern«- Leier?
    Doch Papa schwieg. Eine Minute, zwei Minuten. Hatten die bei­den sich da drinnen etwa in aller Stille erdrosselt? Warum musste Papa so lange überlegen? Anscheinend hatte er Colin ja hergebeten.
    Doch dann sprach er

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