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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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plötzlich - und es war nicht zu überhören, dass es ihn Überwindung kostete.
    »Sie sollten fliehen.« Fliehen? Hatte er völlig den Verstand ver­loren? Vor ihm selbst, oder was? Colin war meinem Vater überlegen. Vor ihm musste er beileibe nicht fliehen. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Colin meinem Vater gegenüberstand - mit dem glei­chen finsteren Ausdruck in den Augen wie am Montag in der Turn­halle. Einem vernichtenden Blick.
    »Warum?«, fragte Colin schließlich mit leicht gereiztem Unterton, als würde er die Antwort sowieso schon kennen.
    »Sie hat sich auf den Weg gemacht«, antwortete mein Vater leise, aber bestimmt.
    Ich nahm eine Bewegung wahr, ein kaum hörbares Verschieben der Luftmassen, doch ich wusste, dass das Gespräch beendet war und Colin auf die Tür zuging. Blitzschnell flüchtete ich rückwärts aus dem Flur, öffnete mit geübtem Griff die Wintergartentür und versteckte mich zwischen Mamas wuchernden Büschen. Ich wartete, bis oben am Feldweg das unverkennbare sonore Rattern des amerikanischen Motors ansprang und das Licht im Schlafzimmer kurz an- und dann wieder ausging. Papa hatte sich schlafen gelegt.
    Ich hastete hoch auf mein Zimmer, zog mich an und warf einen kurzen Blick auf die Spinne. Sie hatte sich ihrem Schicksal ergeben und hockte mit bebenden Fangarmen unter der Wurzel. Verhungern würde sie nicht, und wenn, würde ich ihr keine einzige Träne hinterherweinen. Sicherheitshalber legte ich ein schweres Buch auf den Deckel des Terrariums.
    Ich musste nicht mehr nachdenken, um zu Colins Haus zu ge­langen. Diesen Pfad würde ich mein Leben lang nicht mehr verges­sen. Ich konnte ihn im Traum gehen. Immer wieder sackte ich im Schlamm ein und aus den Bäumen fielen schwere Tropfen, wenn der Wind ihre Äste schüttelte. Frierend erreichte ich Colins Anwe­sen. Ohne mich um irgendwelche Höflichkeitsfloskeln oder Vorsichtsmaßnahmen zu bemühen, stieß ich die Haustür auf.
    Und stand im Fegefeuer. Inmitten dieses Fegefeuers wütete Colin, mit schwarzer Höllenglut in den Augen und wild zerzausten Haa­ren. Jähzornig riss er ganze Stapel von Schallplatten aus den Rega­len, schleuderte sie auf den Fußboden und trat sie gegen den Kamin. Bilder fielen herunter und zerbrachen, sogar das von ihm und Alisha. Ich zog es vorsichtig zu mir herüber und rettete die uralte Foto­grafie aus dem zersplitterten Glas. Dann sah ich Colin weiter zu, wie er mit aller Gewalt versuchte, ein Erinnerungsstück nach dem anderen zu vernichten. Auch ein zerschlissener Kilt mit einem breiten blau-braunen Karomuster war dabei. Er warf ihn in den Kamin, doch es gelang mir, ihn aus den Flammen zu ziehen, bevor er darin aufging. Hektisch schüttelte ich den schweren Stoff, bis er nicht mehr kokelte.
    »Bist du jetzt fertig?«, fragte ich, als auf dem Boden kaum mehr genug Platz war, um auf zwei Füßen zu stehen. Colin schlug brutal seine Hand gegen die Steinwand. Die Haut am Ballen platzte auf. Bläuliches Blut sickerte über seinen Arm und versiegte binnen Se­kunden. Es blieb nicht einmal ein Kratzer zurück.
    »Vielleicht willst du mich auch noch verbrennen«, schlug ich ihm vor. So langsam, fand ich, könnte er sich ein wenig zügeln und mir erklären, was das Ganze für einen Sinn hatte.
    »Ja, das wäre in der Tat eine Lösung«, erwiderte er und ich fröstel­te, als ich begriff, dass es kein Scherz gewesen war.
    Weiterfragen, Ellie, schalt ich mich. Nur keine Angst einjagen las­sen. Bisher hast du immer überlebt.
    »Wer ist sie? Wer hat sich auf den Weg gemacht?«
    Colin ließ die Arme fallen, lehnte sich an die Wand und blickte hoch zu den schweren Dachbalken. Kein Atemzug bewegte seine Brust. Sie war völlig starr. Noch nie hatte ich ihn so wenig mensch­lich erlebt. Ich fand es spannend, aber auch sehr Furcht einflößend.
    Am meisten jedoch fürchtete ich mich vor dem, was er jetzt sagen würde, obwohl ich es längst ahnte.
    »Meine Mutter. Tessa.«
    Ich konnte mich nicht mehr halten. Langsam glitt ich zu Boden und presste den nach Rauch riechenden Kilt an meine heißen Wan­gen. Nein. Bitte nicht. Nicht Tessa.
    »Sie ist nicht deine Mutter«, wies ich ihn mühsam beherrscht zu­recht.
    »Oh doch. Das ist sie. Mehr als das. Und sie wird kommen. Ich denke nicht, dass dein Vater lügt. Oder lügt er, um uns zu tren­nen?«
    Erstaunt hob ich den Kopf. Der Hoffnungsschimmer in Colins Augen tat mir weh. Denn so eifersüchtig Papa sich auch benommen hatte - mit solch ernsten Angelegenheiten

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