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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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fragte Mama mitfühlend.
    »Möglich«, antwortete Papa vorsichtig. »Ich gehe besser noch ar­beiten, bevor es mich morgen erwischt.«
    Also schon wieder eine Nachtschicht. Mama summte vergnügt vor sich hin, während wir die letzten Meter zum Haus hochliefen. Tatsächlich fuhr Papa eine halbe Stunde später nach Rieddorf. Ich zog mich auf mein Zimmer zurück. Mama hatte mir eine Art Para­vent rund um den Schlafbereich gebastelt, mit mehreren losen Bah­nen eines dunkelgrauen leichten Stoffs, der von silbern schillernden Streifen unterbrochen war. »Damit du es etwas gemütlicher hast«, hatte sie gesagt. Sie machten sich Sorgen, alle beide.
    Dennoch entging mir nicht, dass Mama die Fensterbänke um mein Bett herum mit Orchideen zugepflastert hatte. Ihr mochte das ja gefallen - mir nicht. Ich empfand ihren Duft als süß und auf­dringlich und ich hatte Mama schon beim Einzug klargemacht, dass ich keine Blumen in meinem Zimmer haben wollte. Ich hatte nicht gerade einen grünen Daumen. Ich nahm die Töpfe von den Fens­tersimsen und stellte sie auf die Treppe unter das Oberlicht. Von mir aus konnten sie dort bleiben. Hier musste ich sie weder sehen noch riechen.
    Schließlich zog ich die lose baumelnden Vorhänge zu und legte mich aufs Bett. Ich fühlte mich wie in einem Beduinenzelt - ich mochte es. Denn an diesem sternklaren Abend kam mir mein Dach­studio auf einmal viel zu groß und zu kahl vor. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, wanderten meine Gedanken unbarmherzig wei­ter zum nächsten Tag.
    Morgen. Morgen würde ich wieder einen langen, einsamen Schul­tag absitzen müssen. Und es gab nichts, auf das ich mich freuen konnte. Nichts, was mir helfen würde, mich durchzubeißen. Die Angst knotete sich dumpf in meinem Magen zusammen und ich bereute es, das ganze Steak gegessen zu haben. Ich wusste nicht, wo­vor ich mich mehr fürchtete - vor der Schule oder vor der Angst selbst, die mich den ganzen Tag begleiten würde.
    Mein Herz klopfte so laut und unregelmäßig, dass ich lange keine Ruhe fand. Doch dann fing der Vogel am Waldrand wieder an zu rufen - klagend und wehmütig. Diesmal aber hielt er mich nicht wach.
    Ich empfand seine Schreie als tröstlich und beruhigend und ließ mich von ihnen in einen tiefen, traumlosen Schlaf ziehen.
     

    Samuraifieber
     
     
    Als der Morgen dämmerte, holte mich die Angst wieder ein. Schon lange bevor mein Wecker klingelte, lag ich hellwach und starr wie ein Brett auf meinem Laken. Die Furcht scheuchte mein Blut dumpf pochend durch meinen Körper. Warum nur hatte ich solche Angst? Ein Jahr ohne Freunde, das müsste doch zu schaffen sein. Immerhin hatte ich keine Probleme mit dem Unterricht. Ich musste mich zu­mindest nicht vor dem Abitur fürchten. Aber diese Gedanken ver­schafften mir keine Ruhe. Als der Wecker endlich läutete, torkelte ich wie eine Betrunkene durch mein Zimmer und ließ ständig etwas fallen.
    Beim Frühstück war ich allein. Mama schlief und Papa war immer noch in der Klinik. Auf dem Rasen ließ die Sonne jeden einzelnen Tautropfen grell glitzern und zwei Elstern jagten sich laut schnat­ternd über Mamas wirre Beete.
    Ich versuchte, einen Löffel Müsli hinunterzuwürgen, aber mein Magen streikte. Noch zehn Minuten bis zur Ankunft des Busses. Ich ging ein letztes Mal hinauf in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett, in der Hoffnung, die vertrauten Gerüche würden mich ruhiger stimmen. Denn es gab nichts mehr zu tun. Meine Schulsa­chen waren gepackt, meine Zähne geputzt, mein Make-up akzepta­bel. Ich hatte sogar meine Jacke schon angezogen. Doch ich konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Sobald ich an das dachte, was mich da draußen erwartete, fühlte ich mich schwach und durch-
    einander. Und wenn ich versuchte, mich mit den Erlebnissen außer­halb der Schule abzulenken - dem Gewitter, dem fremden Reiter -, toste in meinem Kopf ein unbeherrschbares Chaos.
    Ich schloss die Augen und stützte die Stirn in meine kalten Hände. Atmen, sagte ich mir. Ganz ruhig weiteratmen.
    Plötzlich verstummten die Elstern, deren Gekreische bis hier oben zu hören gewesen war, und auch das überfröhliche Gezwitscher der Singvögel setzte jäh aus. Erstaunt hob ich den Kopf. Ich roch das taunasse, eisige Gras, obwohl meine Fenster nur gekippt waren, und die Angstschauer auf meinem Rücken verwandelten sich in eine wohlige, schmeichelnde Wärme.
    »Hab keine Angst. Dir wird nichts geschehen.«
    Ich sprang so heftig auf, dass der Nachttisch umkippte

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