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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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das beste Männervertreibungsmittel, das es gab.
    Ich hätte mich selbst ohrfeigen können. Nun war ich so mutig gewesen, hatte mich Louis genähert und eine einzelne Träne machte alles zunichte. Wütend wischte ich sie mit dem Handrücken weg.
    »Es ist schon spät.« Oh. Colin schickte mich mal wieder weg.
    »Ist mir im Moment ziemlich scheißegal«, erwiderte ich trotzig.
    Colin senkte den Kopf und dunkle Strähnen fielen ihm in seine makellose Stirn. »Geh nach Hause. Ich bitte dich. Geh«, sagte er so ernst, dass ich aufschaute, obwohl sich eine weitere Träne löste. Sei­ne linke Hand hob sich, doch er packte sie mit der rechten und hielt sie fest.
    »Colin, was ...« Mir wurde für Sekunden schwarz vor den Augen. Ich atmete tief durch und mein Sichtfeld klärte sich wieder. Colin lehnte lässig an der Box, als wäre nichts gewesen. Von schräg unten schaute er mich an - ein Blick, der keinen weiteren Widerspruch duldete. Und doch so traurig.
    »Wenn du dem Schotterweg hinter dem Reitplatz folgst und dann die Straße entlanggehst, bist du in einer halben Stunde da.« Ich wollte ihm erneut sagen, dass er nicht mein Vater sei und sich gefäl­ligst auch nicht so benehmen solle. Wie kam er eigentlich dazu, mich heimzuschicken? Aber die Bitterkeit in seiner Stimme schien nicht nur mir zu gelten. Für einen Moment glaubte ich, sie galt ihm selbst.
    »Hab ich schon einmal erwähnt, dass ich Befehle hasse?«, schnauz­te ich ihn halbherzig an. Er seufzte, nahm mich bei den Schultern und drehte mich von ihm weg. Sein Griff war sanft.
    »Vertrau mir, Ellie. Ich muss Louis noch in den Hänger verfrach­ten, wir brechen hier die Zelte ab.«
    »Warum sollte ich dir ...?« Ich sprach nicht weiter, denn als ich mich umdrehte, war Colin nicht mehr da. Na gut, das spurlose Ver­schwinden war ja eines seiner Markenzeichen. Louis zerbiss kra­chend eine Karotte. Er sah zufrieden aus, aber er und ich alleine im Stall, selbst mit Trennwand zwischen uns - das war nichts für mich.
    Ernüchtert ging ich nach draußen und stapfte den Schotterweg entlang. Das war es also gewesen. Das lästige Insekt wurde einmal mehr fortgejagt. Für Minuten erschien mir der Gedanke, jemals wieder zu lächeln, unmöglich. Mein Gesicht war wie aus Gips, kalt und hart. Dennoch tropften immer wieder heiße Tränen meine Wangen hinunter. Was war nur los mit mir? Ich hatte schon wahre Rekorde im Nichtweinen aufgestellt. Und mich selbst fürstlich dafür belohnt. Einen Monat nicht weinen, eine CD. Zwei Monate nicht weinen, eine neue Jeans. Drei Monate nicht weinen, zwei neue Bü­cher, eine DVD und ein Saunanachmittag mit Entspannungsmassa­ge.
    Jetzt aber waren die Schleusen wieder geöffnet. Ich hasste es. Mei­ne Tränen hatten Colin vertrieben. Warum sonst hatte er mich heimgeschickt? Und doch - es hatte sich nicht angehört, als wäre es ihm leichtgefallen. Oder als triumphiere er gar. Sondern als läge es nicht mehr in seiner Macht. Erwartete er am Ende eine andere Frau im Stall, der ich nicht begegnen sollte? Aber warum hatte er mich dann überhaupt geweckt? Er hätte mich ja auch liegen lassen kön­nen. Wer weiß, wann ich von alleine aufgewacht wäre.
    Vielleicht war es einfach nur eines dieser blöden Spiele, die Jungs mit Mädchen spielten. Katz und Maus. Ich war auf keine der beiden Rollen erpicht. Ich spielte nicht einmal gerne Mensch ärgere dich nicht.
    Einsam marschierte ich durch die stille, finstere Landschaft, eingerahmt von undurchdringlichem Wald und glucksenden Bächen, und wollte eins werden mit der Nacht - so wie die Tiere, die unentdeckt neben mir durch das Dickicht krochen und hier heimisch waren, keine Fremde wie ich. Die sich auch im Dunkeln auskann­ten, jeden Feind witterten und sich schneller fortbewegen konnten, als wir Menschen es uns je auf unseren zwei krummen Beinen er­träumen konnten.
    Zu Hause ging ich sofort zu Bett.
    Als ich die Augen schloss, war ich wieder auf dem verwitterten Reitplatz. Diesmal aber schaute ich nicht auf Louis. Ich schaute auf Colin - Colin, wie er bewegungslos in der blaugrauen Dämmerung stand und Fledermäuse in wundersamen Spiralen seinen Kopf um­schwirrten. Tausendfaches Zirpen stieg aus den hüfthohen Gräsern, die den Zaun umwucherten, und erfüllte die abendliche Stille mit sehnsüchtigem Gesang. Jetzt löste sich ein blau schillernder Nacht­falter aus seinem Schwarm und ließ sich auf Colins Nacken nieder. Colin lächelte nur.
    Ich aber weinte. Ich weinte und die Tränen liefen in

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