Splitterndes Glas - Kriminalroman
Schreibtischkante. »Wird langsam Zeit, dass wir ’n bisschen Rückenwind bekommen, findest du nicht auch?«
Nicht mal eine Stunde später machte Will sich in fremdes Revier auf. Na ja, fremd war vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Aber in Nottingham konzentrierten sich Howard Princes Aktivitäten, also musste er sich dort umsehen. Er hatte am Vormittag bereits mit Lynn Kellogg von der Direktion Gewaltverbrechen gesprochen.
In einen korrekten schwarzen Rollkragenpullover und einen passenden Rock gekleidet, hatte Kellogg zugehört, als Will seine Gründe vortrug, warum er Princes Hintergrund unter die Lupe nehmen wollte.
»Eine Menge Spekulation und nicht viel Substanz«, sagte sie, als er geendet hatte.
Will nickte. »Im Augenblick ist das alles, was wir haben. Aber ich bin ganz sicher, dass wir noch mehr finden werden.«
»Und deshalb sind Sie hier und sprechen mit mir – es dreht sich in erster Linie um Princes Geschäfte?«
»Im Augenblick, ja.«
»Sie denken, dass es ihm in Wirklichkeit darum geht, seine Geschäfte zu schützen, nicht seine Familie.«
Will lächelte. »Die Möglichkeit muss in Betracht gezogen werden.«
»Das bedeutet aber, im Dunkeln herumzustochern, das wissen Sie doch?«
|310| »Ich weiß.«
Kellogg schrieb einen Namen und weitere Angaben in das ledergebundene Notizbuch auf ihrem Schreibtisch, riss die Seite heraus und reichte sie ihm. »Terry Challoner ist der Mann, mit dem Sie reden sollten. Bevor er vor sechs Monaten in den Ruhestand ging, war er die Nummer zwei im Betrugsdezernat. Wenn irgendwas an Princes Geschäften nicht pieksauber war, hat er vermutlich davon gewusst. Ich rufe ihn an und sage ihm, dass Sie sich melden werden.«
»Danke.« Will faltete das Stück Papier zusammen und schob es in die Innentasche seines Jacketts.
»Wenn Sie noch etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen. Ich tue, was ich kann. Viel Glück.«
Am Telefon war Terry Challoner fröhlich und gab ihm eine genaue Wegbeschreibung. »Ich vermute, dass Sie wissen, wo das Polizeipräsidium ist? Nehmen Sie von dort die Hauptstraße Richtung Norden nach Mansfield. Auf der bleiben Sie, bis Sie an einen großen Kreisverkehr kommen, wo Sie die rechte Abzweigung auf die A614 nach Doncaster nehmen. Nach ungefähr vier Meilen fahren Sie bei einem Schild mit der Aufschrift ›Waldfriedhof‹ nach rechts. Folgen Sie der Salterford Lane eine gute halbe Meile. Gleich hinter einer Anhöhe kommen Sie an eine Gabelung, wo ein Weg ziemlich scharf nach links abgeht. Ein paar Hundert Meter weiter sehen Sie auf der rechten Seite zwei ehemalige Landarbeiterhäuschen. Das Erste davon gehört uns. Wenn ein schwarz-weißer Collie angerannt kommt und versucht, Ihre Eier zu frühstücken, wissen Sie, dass Sie uns gefunden haben.«
Auf der Fahrt wehte der Wind ziemlich heftig, und Wolken in Schattierungen von gebrochenem Weiß und Grau zogen schnell über den offenen Himmel. Auf den Feldern |311| zu beiden Seiten der Straße spross das erste Grün, und auch die Hecken wurden langsam dichter. Ein Range Rover beschleunigte und überholte. Bei seinem letzten Gespräch mit Lorraine hatte sie ihm von ihrem Termin mit dem Leiter der Zulassungsstelle der Universität erzählt, und er hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er ihre Aufregung nicht teilen konnte.
Schon von weitem sah er das Schild, das den Waldfriedhof anzeigte, kam zum Stehen, weil ihm ein Traktor entgegenkam, und bog ab. Auf Classic FM spielte leise klimpernde Klaviermusik. Händel hatte der Moderator gesagt, meinte er sich zu erinnern.
Mehrere Autos standen auf dem Parkplatz vor dem Friedhof, dazwischen kleine Gruppen von Menschen. Einige warteten stumm, andere unterhielten sich leise; hinter ihnen führte ein Weg zu den Gräbern, die mit kleinen Farbflecken aus Blumen markiert waren. Eine große Frau in einem schwarzen Cape stand dort ohne Kopfbedeckung und blickte in den Himmel.
Er verpasste die Abbiegung in den Feldweg und musste eine gute halbe Meile weiterfahren, bevor er eine Stelle fand, an der er wenden konnte. Als er die Häuschen erblickte, kam der Collie auf ihn zugerannt, stemmte die Pfoten in den Boden, versperrte ihm den Weg, legte den Kopf zurück und bellte. Nachdem er zunächst angehalten hatte, löste Will die Handbremse und fuhr langsam weiter, wobei der Hund jetzt von der einen Seite des Autos zur anderen rannte, an den Fenstern hochsprang und die Zähne zeigte.
Unmöglich, Terry Challoner zu überraschen, dachte
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