Splitterndes Glas - Kriminalroman
die ganze Zeit hier zu leben, ohne andere Erwachsene zur Gesellschaft. Wie es für Lorraine war.
»Das alles ist lange her«, sagte Challoner, der sich neben ihn gestellt hatte. »Nicht das, was Sie wollten.«
»Vielleicht nicht.«
»Dann kommen Sie am besten wieder rein. Es gibt noch mehr.«
31
»Du weißt, dass es bald gewaltig pissen wird?«
Helen sah zum Himmel hinauf, der von einem beinahe einheitlichen Stahlgrau war, im Osten noch etwas dunkler. »Ein Schauer«, sagte sie mit einem leichten Achselzucken. »Ganz normal um diese Jahreszeit.«
Sie drehten eine gemächliche Runde auf dem Krankenhausgelände; der Reißverschluss von Wills Regenjacke war ein Stück hochgezogen, Helen hatte einen Schal in den Kragen ihres Bademantels gestopft und trug geliehene Tennisschuhe an den Füßen.
|318| »Außerdem hast du deinen Anorak«, sagte Helen. »Was kann es dir also ausmachen?«
»Nichts, solange du nicht erwartest, dass ich ihn ausziehe und dir gebe, sobald es anfängt, zu schütten.«
»Ritterlichkeit, Will? Ist nicht angesagt.«
»Genau. Dass die Männer zurücktreten und Türen aufhalten, Umhänge über Pfützen legen und dergleichen, das ist alles mit Walter Raleigh aus der Mode gekommen, stimmt’s?«
»Mit Germaine Greer zumindest.«
»Mit wem?«
»Hör mal, Will, selbst du weißt, wer Germaine Greer ist.«
»Das ist die, die aus ›Celebrity Island‹ geworfen wurde? Oder war es ›Big Brother‹?«
»Eins habe ich immer an dir bewundert, Will. Wie du dich intellektuell auf dem Laufenden hältst. Du steckst den Kopf nicht nur in Männermagazine oder in die Vorschriften zur Beweisaufnahme im polizeilichen Ermittlungsverfahren wie manch anderer.«
»Lass dich nicht täuschen, nur weil du mich einmal bei der Lektüre des ›Guardian‹ erwischt hast.«
Helen schwieg, weil sie sich eine Zigarette anzündete. Dann: »Wie steht es mit dem Job, den Lorraine gerne wollte?«
»Scheint, dass das Vorstellungsgespräch erfolgreich war. Sie wartet nur noch auf ihr polizeiliches Führungszeugnis, das ist alles.«
»Sie fühlt sich also nicht auf die Folter gespannt?«
»Ich weiß nicht. Es müsste eigentlich ziemlich schnell gehen.«
Helen inhalierte tief. »Dann wollen wir mal hoffen, dass es keine zweite Lorraine Grayson mit einer ganzen Latte |319| von Verurteilungen gibt, weil sie mit Drogen erwischt wurde oder kleine Jungs missbraucht hat. Irgendwo in Wisbech oder so.«
»Soll das in Wisbech häufiger vorkommen?«
»Vermutlich nicht häufiger als anderswo.«
Will blickte noch einmal in den Himmel. »Bist du ganz sicher, dass du nicht wieder reingehen oder dich wenigstens hinsetzen willst? Das hier macht mich ganz schwindlig.«
Helen streckte eine Hand aus. »Da drüben ist eine Bank.«
Sie zuckte etwas zusammen, als sie sich setzte, und die Frage stand Will ins Gesicht geschrieben.
»Mir geht es gut«, sagte Helen. »Nun erzähl weiter von Prince. Die Zeit nach dem Gerichtsverfahren. Ich will nur sicherstellen, dass ich alles ordentlich im Kopf hab.«
Terry Challoner zufolge war Howard Prince während der fünf Jahre, in denen er keine Firma betreiben durfte, weitgehend vom Radar verschwunden. Es gab Gerüchte, er sei ins Ausland gegangen, andere besagten, er führe irgendwo in den Fens ein Einsiedlerleben. Einmal war die Polizei zu einem Hotel in Ely gerufen worden – das würde Will mit Leichtigkeit überprüfen können –, wo Prince und seine Frau zu Abend gegessen hatten. Erhobene Stimmen, Geschrei, zerschlagene Teller. Davon abgesehen hörte Challoner bis 1992 nichts mehr über ihn, als es Beschwerden wegen eines Angebots gab, das er im Auftrag einer Firma namens Shotton Properties abgegeben hatte, für die er als Berater tätig war. Der übliche Vorwurf: Er habe sich durch unfaire Methoden eine Vorzugsbehandlung verschafft. Beamte vom Betrugsdezernat hatten rumgeschnüffelt und ein paar Fragen gestellt, aber die ganze Sache schien sich von alleine zu erledigen. Das war es.
»Ein paar Jahre später dann«, hatte Challoner Will erzählt, » |320| 1994 oder 1995 gab es weitere Beschwerden, lauter diesmal, und die Angelegenheit war auch verwickelter. Ein großes Projekt nördlich von Nottingham, in Worksop: ein neues Einkaufszentrum, Wohnungen, das ganze Programm. Ein Mann kam zu uns, ein früherer Stadtrat – Allen, das war sein Name, glaube ich, Michael Allen. Ein selbstgerechter Scheißkerl, aber anständig – so schien es zumindest. Ihm zufolge war Prince da gewesen,
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