Splitterndes Glas - Kriminalroman
ergrauendem Haar auch der Vorstandsvorsitzende eines börsennotierten Unternehmens sein können, egal welche Branche, irgendwas von Gebäck bis Kugellagern.
»Ich habe die Berichte gelesen, die ich angefordert hatte«, sagte er jetzt und zeigte auf die Hefter auf seinem Tisch, »und es ist wirklich schwierig, zu entscheiden, wer von Ihnen sich tiefer in die Scheiße geritten hat.«
Rastrick hustete; Will inspizierte den Boden zu seinen Füßen.
»Ein eher unkomplizierter Fall, Malcolm, hätte ich gedacht. Aber einer, der natürlich das Interesse der Öffentlichkeit erregt. Ein Student tot, einer verletzt, eine Beamtin aus euren Reihen im Krankenhaus. Bei so was brennen den Medien die Sicherungen durch. Da braucht man Taktgefühl, eine organisierte Vorgehensweise, eine sichere Hand – das wurde von Ihnen erwartet, Malcolm. Aber urplötzlich verwandeln Sie sich in einen verdammten Haudegen aus |304| irgendeiner Polizeiserie. Dieser Junge, dieser Jugendliche, was in Gottes Namen haben Sie sich dabei gedacht? Ein Wunder, dass sie ihm nicht zur Erinnerung an alte Zeiten mit einem Telefonbuch auf den Kopf gehauen und gedroht haben, seine schwitzigen kleinen Eier zu verdrahten, wo Sie schon dabei waren.«
Rastrick schien sich einer sorgfältigen Betrachtung der Risse in der Decke hinzugeben.
»Herrgott noch mal, Malcolm«, fuhr der stellvertretende Polizeipräsident fort, »wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, oder ist Ihnen das noch nicht zu Ohren gekommen, verdammt? Das Zeitalter, in dem wir uns für unsere Handlungen verantworten müssen. Ich kann in dieser Uniform nicht pinkeln gehen, ohne Dauer und Menge abzumessen und sicherzustellen, dass beides mit einer Direktive des Innenministeriums im Einklang steht. Kann keinen Furz in die falsche Windrichtung lassen, weil ich befürchten muss, die verfluchten Menschenrechte von irgendjemandem zu verletzen. Und wenn wir aus so einem armseligen Arschloch die Wahrheit rauskriegen wollen, haben wir nicht die Möglichkeit, ihn nach Ägypten oder Albanien zu verschiffen und jemand anderen dazu zu bringen, unsere schmutzige Arbeit für uns zu machen. Nein. Wir sind allein dafür verantwortlich. Ich bin dafür verantwortlich. Sie nageln einen Jugendlichen in einem Raum fest, ohne Zeugen, ohne Rechtsvertretung, und dann führen Sie sich auf, als wären Sie in Guantanamo Bay, legen sich ihr eigenes Gesetz zurecht, sodass ich meinen verdammten Kopf hinhalten und versuchen muss, etwas ganz Unverzeihliches zu rechtfertigen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Ja, Sir.« Rastricks Schmerzensmiene sah noch trauriger aus als sonst, seine Haut noch fahler.
|305| »Ja? Einfach nur ja? Keine schlauen Entgegnungen, keine kernigen Einzeiler, keine Entschuldigungen?«
»Nein, Sir.«
»Gut. Denn wenn Sie mich je wieder in eine solche Lage bringen, kriege ich Sie persönlich dran. Verstanden?«
»Ja, Sir.«
Anschließend schob der stellvertretende Polizeipräsident mit einem Grunzen Wills Bericht über den Schreibtisch und warf einen Blick auf die Notizen, die er sich auf der ersten Seite gemacht hatte; erst dann musterte er Will genau.
»Nun, Grayson, wir wissen ja, dass Sie so eine Art Cowboy sind, zumindest scheinen Sie das zu glauben. Sie gehen gerne raus, klopfen an Türen und so weiter, wenn Sie nur nicht das tun müssen, was ich tue: hinter einem verdammten Schreibtisch sitzen und Verantwortung übernehmen.« Er stieß einen Zeigefinger in Wills Richtung. »Aber umso besser, junger Mann, denn wenn Sie so weitermachen wie bisher, kommen Sie einem Schreibtisch wie diesem nicht näher als jetzt: Sie sitzen davor und warten auf eine Rüge. Vermasseln Sie ruhig diese Ermittlung, dann sind Sie nämlich wirklich draußen auf der Straße und stecken wieder in Uniform. Dann dürfen Sie kleinen Kindern in Schulen Vorträge über Verkehrssicherheit halten. Genau das machen Sie dann.«
Will sagte nichts.
Der stellvertretende Polizeipräsident schlug die Akte auf. »Howard Prince, Sie glauben, es gibt eine Verbindung zwischen ihm und dem Mord an Bryan?«
»Ich halte es für möglich. Ja, Sir.«
»Weil er anscheinend gesehen wurde, wie er vor Bryans Haus rumgelungert hat? Verflixt, Mann, was soll das beweisen?«
»An sich gar nichts, Sir. Und ich würde mich ganz bestimmt |306| vor Gericht nicht auf meinen Zeugen verlassen wollen. Aber trotzdem scheint Prince geradezu paranoid darauf zu reagieren, wenn jemand seine Angelegenheiten unter die Lupe nimmt. Und wir wissen, dass er
Weitere Kostenlose Bücher