Splitterndes Glas - Kriminalroman
genauso wie den Verkehrslärm und die Tatsache, dass die ersten Regentropfen fielen.
»Als Prince damals vor Gericht stand – das war 1982, oder?«
»In etwa.«
»Er ist ja nicht direkt straffrei davongekommen, aber |323| wenn die Beweislage des Betrugsdezernats so stichhaltig war, wie Challoner sagt, klingt es, als hätten die Geschworenen ihm einen echten Gefallen getan.«
»Du meinst, sie sind bestochen worden?«
»So was ist schon vorgekommen. Und wenn stimmt, was Challoner dir über Prince erzählt hat, scheint Bestechung bei ihm eine Art Lebensstil zu sein.«
»Oder Einschüchterung.«
»Denkst du dabei an den ehemaligen Stadtrat?«
Will nickte. »Etwas hat ihn dazu gebracht, seine Entscheidung grundlegend zu revidieren, und ich bezweifle, dass es ein Sinneswandel war.«
Der Regen fiel jetzt beharrlicher und Will stand auf. »Wir sollten jetzt wirklich reingehen.«
»Wenn nur die Hälfte davon stimmt«, sagte Helen, »wenn das die Vorgehensweise ist, mit der Prince sein Geld gemacht hat, ist es kein Wunder, dass er es nicht mag, wenn jemand herumschnüffelt und Fragen stellt.«
»Wie Stephen Bryan?«
»Ja.«
»Aber vermutlich hätten die Fragen, die er stellen wollte, gar nichts mit Princes Geschäften zu tun gehabt?«
»Nein, würde man nicht denken. Aber vielleicht meint Prince, es ist sicherer, aus Prinzip alle auf Abstand zu halten. Oder vielleicht hat er Angst, dass zu viele Leute anfangen zu buddeln und früher oder später herausfinden, wo die Leichen begraben liegen.«
»Ist das bildlich gesprochen?«
Helen lächelte. »Für den Augenblick, ja.«
Will öffnete den Reißverschluss seiner wasserdichten Jacke und legte sie um Helens Schultern. Dann beeilten sie sich, aus dem Regen zu kommen.
|324| 64. AUSSEN – KÜSTENSTRASSE – TAG
RUBY und PHILIP fahren die Küstenstraße entlang, Ruby sitzt am Steuer.
Es ist dasselbe Stück Straße wie in der ersten Szene, aber jetzt scheint die Sonne, die Autofenster sind heruntergekurbelt, Rubys Haar weht im Wind, und sie und Philip wirken glücklich.
Als sie an eine Kurve kommen, verlangsamt Ruby den Wagen und kommt auf dem Grünstreifen zum Stehen. Sie steigen aus und gehen Hand in Hand zum Rand der Klippe, wo sie stehen bleiben und auf die Wellen blicken, die sich unter ihnen an den Felsen brechen.
Philip: Wie schön das ist! (Er dreht sich um und sieht sie an.) Wild, aber schön.
Ruby greift nach ihm und küsst ihn, und während sie sich umarmen, fährt die Kamera nach oben und schwenkt über sie hinweg auf die tosende Brandung.
|325| 32
Seit sie erwachsen war, wurde Lesley nur selten von Träumen gequält, jetzt aber wachte sie in aller Frühe mit schweißüberzogener Haut auf. Als sie versuchte, sich das T-Shirt über den Kopf zu ziehen, blieb es an ihr kleben, und sie wand sich, um es ausziehen zu können. Durchnässt landete es im Wäschekorb. Lesley ließ lauwarmes Wasser ins Waschbecken laufen und wusch sich mit einem Waschlappen. Nach dem Abtrocknen schlüpfte sie in eine Trainingshose und ein Baumwolltop mit langen Ärmeln, dann stellte sie den Wasserkessel an.
Nur in einem der Fenster, die sie von ihrer Wohnung aus sehen konnte, brannte Licht hinter den Jalousien, alle anderen waren dunkel. Durch eine Lücke zwischen den Gebäuden konnte sie das südliche Ende der St Mary’s Church sehen, deren Umriss sich vor dem matten orangegelben Licht der Stadt abzeichnete.
Als der Tee fertig war, schaltete sie das Radio ein und nahm ein Buch zur Hand. ›Ein Kürbis für Mma Ramotswe‹. Es war nett, und es war auf stille Weise unterhaltsam, über diese beiden Afrikanerinnen aus Botsuana zu lesen, die ihre Zeit damit verbrachten, Donuts zu essen, enorme Mengen Tee zu trinken, zwischendrin kleine Geheimnisse aufzudecken und überhaupt das Leben der Leute um sie herum in Ordnung zu bringen. Charmant, dachte Lesley. Beruhigend.
Wenn nur das wirkliche Leben genauso wäre! Aber vielleicht war es einmal so gewesen.
Immerhin saß sie hier und trank Tee. Und in diesen Stunden, |326| bevor der Tag richtig anbrach, konnte sie sich vielleicht vorstellen, dass mit dem ersten Licht alles in Ordnung käme, Fragen beantwortet und Geheimnisse gelöst würden.
Anstelle des hämmernden Klaviers im Radio – oder war es ein Cembalo gewesen? – kam jetzt etwas, das sie erkannte. Die kurzen nervösen Phrasen der Streicher, denen die Hörner antworteten, und dann schwoll die Musik an, drängte zum Ende dieses ersten kurzen Teils, bis das Orchester
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