Splitterndes Glas - Kriminalroman
ich bin so verwirrt. Alle sagen das.« Sie klopfte sich an den Kopf und lächelte. »Verwirrt.«
»Vielleicht möchten Sie mit mir sprechen?«, sagte Lesley. »Über Ihre Tante?«
»Sie ist tot«, sagte Lily.
»Ja, ich weiß.«
»Sie ist tot.«
Lesley sah die Haushälterin durch die Lücke in der Hecke treten und schnell auf sie zukommen. Sie war immer noch im Mantel.
|332| »Ich helfe Ihnen auf«, sagte Lesley und ergriff Lilys Hand. »Es ist bestimmt nicht gut für Sie, wenn Sie hier so lange sitzen.«
Lily sah sie zweifelnd an, dann sah sie auf die Haushälterin, die immer näher kam.
»Erlauben Sie ihr nicht …«, sagte Lily.
»Alles in Ordnung.«
»Erlauben Sie ihr nicht, mich zu schlagen.«
»Mrs Prince«, rief die Haushälterin.
»Sie wird Sie bestimmt nicht schlagen«, sagte Lesley.
»Mrs Prince. Was tun Sie da? Sie müssen ins Haus kommen. Und Sie«, sagte sie zu Lesley, »Sie sind diese Person vom Radio. Die Reporterin. Was haben Sie hier zu suchen?«
»Ich habe Lily hier draußen gesehen«, sagte Lesley. »Es schien niemand im Haus zu sein. Ich bin nur gekommen, um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist.«
»Alles bestens«, sagte die Frau und schob Lesley zur Seite. »Kommen Sie, Mrs Prince. Sie kommen jetzt mit.« Sie griff nach unten und zog Lily auf die Füße, als wäre sie aus Papier und Stroh. »Ihr schönes Kleid, wie das aussieht! Wir müssen es ganz vorsichtig waschen. Mit der Hand. Sie dürfen mir helfen, wenn Sie wollen.«
»Ja«, sagte Lily. »Ja.« Sie schien vergessen zu haben, dass noch jemand da war.
»Sie müssen jetzt gehen«, sagte die Haushälterin zu Lesley. »Es ist nicht gut für Sie, wenn Sie hier sind. Gehen Sie.«
»Mrs Prince und ich wollten uns eigentlich ein bisschen unterhalten.«
Die Stimme der Haushälterin war sehr fest. »Mr Prince kommt bald nach Hause.« Sie warf einen Blick auf Lily. »Es ist besser für sie, wenn Sie dann nicht mehr hier sind.«
|333| Der Regen, der den ganzen Tag gedroht hatte, setzte ein, als Lesley noch zwanzig Meilen von Nottingham entfernt war. Zuerst waren es kleine Tropfen, die sie hier und da auf der Windschutzscheibe entdeckte, aber bald wurde er stärker, bis er von der Seite über den Wagen peitschte und die Straße in kürzester Zeit unter Wasser setzte.
Lesley verlangsamte ihr Tempo, ließ die Scheibenwischer auf der höchsten Stufe laufen und spähte durch die Windschutzscheibe in die Düsternis.
Nur zehn Minuten später hörte es auf zu regnen und das riesige schwarze Bollwerk von Wolke war verschwunden; vor ihr erhob sich ein Regenbogen über der Stadt und tauchte sie in Licht.
Sie schaltete das Radio an und hörte die Lokalnachrichten: Schon wieder war eine Studie zur Kriminalität veröffentlicht worden. Nach der Auswertung aller Fälle von Mord, Vergewaltigung, Raub, Waffengebrauch und Körperverletzung kam man zu dem Schluss, dass Nottingham die gefährlichste Stadt in England und Wales war, in der man leben konnte. Lügen, verdammte Lügen und reine Statistik, hatte der Vorsitzende des Stadtrats entgegnet.
Ist ja klar, dass er das sagt, dachte Lesley.
Aber was waren ihre eigenen Erfahrungen? Stimmte es, dass die Stadt gefährlich war? Hatte sie Bedenken, nachts allein auszugehen? Fühlte sie sich weniger sicher im Vergleich zu anderen Städten, in denen sie gelebt hatte oder die sie kannte – Derby, Cardiff, Manchester, Leeds?
Die Antwort lautete: nein, normalerweise nicht.
Vor der County Hall bog sie rechts ab, überquerte den Trent und fuhr auf der London Road weiter, vorbei an dem Gebäude, in dem sie arbeitete, über den Kreisverkehr und links auf die Straße, die zum High Pavement und Weekday Cross führte. Wie durch ein Wunder fand sie auf dem unbebauten |334| Grundstück an der Ecke von Hollowstone Hill einen Parkplatz, setzte ihren Peugeot hinein – eng, aber es reichte –, griff nach ihrer Tasche, schloss den Wagen ab und stieg zu Fuß den Hügel hinauf.
Als sie auf den Commerce Square kam, rutschte ihr Fuß auf den feuchten Pflastersteinen aus und ihre Beine knickten ein, aber bevor sie zu Boden fiel, kam von irgendwo eine Hand, packte ihren Arm und zog sie auf die Füße.
»Danke«, murmelte sie und drehte sich überrascht um. In diesem Augenblick griff die Hand an ihrem Ellenbogen fester zu, und der vermeintliche Helfer schlug ihr fest mit der anderen Hand ins Gesicht. Sie schrie auf, aber schon grub sich eine Faust in ihre Brust, und als sie sich krümmte und ihr die
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