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Splitterndes Glas - Kriminalroman

Splitterndes Glas - Kriminalroman

Titel: Splitterndes Glas - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schuhe entschieden. Dazu eine klobige Goldkette und Armbänder, die klimperten, wenn sie sich bewegte. Eine rote Segeltuchtasche mit breiten grünen Riemen. Sie gab einen kleinen Freudenschrei von sich, als sie Lesley sah, umarmte sie fest und küsste die Luft neben ihren Wangen.
    »Bist du startklar?«
    »Ich denke schon.«
    »Ein richtiges Abenteuer, was?«
    »Das stimmt.«
    »Ich kann es gar nicht erwarten, meine Großmutter zu sehen.«
    »Weiß sie, dass wir kommen?«
    Natalie zögerte einen Augenblick. »Gewissermaßen.«
    »Wann hast du sie zuletzt gesehen?«
    Natalie grinste. »Als ich zwölf war. Dreizehn.«
    »Und jetzt willst du einfach mal vorbeischauen?«
    |392| »Ich hab ihr ’ne Postkarte geschickt.«
    »Ist ja super.«
    Natalie lachte. »Entspann dich. Das geht in Ordnung.«
    »Was ist mit deinem Vater?«
    »Was soll mit ihm sein?«
    »Weiß er, dass du hinfährst? Oder dass ich mitkomme, um genau zu sein.«
    »Was sollte ihm das ausmachen? Ich glaube nicht, dass er und Irene in zwanzig Jahren mehr als ein Dutzend Worte gewechselt haben.«
    »Es macht ihm bestimmt was aus, denn er hat Stephen davor gewarnt, etwas über deine Familie zu schreiben. Mich auch, und zwar nachdrücklich.«
    »Das war wegen Lily. Er macht sich Sorgen, wie sie es aufnehmen würde. Irene ist ein anderes Kaliber, das kannst du mir glauben. Außerdem   …«, Natalie kicherte, »…   wie soll er denn davon erfahren?«
    Wie erfuhr er andere Sachen? Er wusste jedenfalls eine Menge. Aber Lesley hielt es für besser, keine weiteren Fragen zu stellen.
    Das Flugzeug war zu zwei Dritteln besetzt, eine Mischung aus Ferienreisenden – junge Sportkletterer und ältere Paare in teuren Strickpullovern – und Männern, die zur Arbeit auf dem Erdölterminal von Flotta zurückkehrten.
    »Du hast Orlando besucht«, sagte Natalie, nachdem das Flugzeug die Reisehöhe erreicht hatte.
    »Ja.«
    »Wie lange hat es gedauert, bis er versucht hat, dir an die Wäsche zu gehen?«
    »Lange genug, um eine zweite Flasche Wein aufzumachen.«
    Natalie lachte.
    »Ich glaube, er hatte eigentlich gar kein Interesse«, sagte |393| Lesley. »Kein echtes. Es war mehr Schau. Als glaubte er, das würde von ihm erwartet.«
    »Vielleicht hättest du ihn beim Wort nehmen sollen, um festzustellen, was er gemacht hätte. Wär wahrscheinlich ’n Schnellschuss geworden.«
    Sie lachten beide, und Natalie war nicht weit von einem Kicheranfall entfernt.
    Lesley nahm die Zeitung heraus, die sie am Flughafen gekauft hatte, und Natalie blätterte das Bordmagazin durch.
    »Wie steht es denn mit dem Film?«, fragte Lesley.
    »›Splitterndes Glas?‹« Natalie schüttelte den Kopf. »Der wird nicht gedreht.«
    »Und wieso?«
    »Ach, es gibt eine Million Gründe. Die meisten davon haben mit Geld zu tun. Eins kam zum anderen, und wir konnten das Geld einfach nicht auftreiben.«
    »Ich dachte, dein Vater   …«
    »Orlando hatte vollkommen recht. Wenn mein Vater nach einem Weg gesucht hätte, uns daran zu hindern, den Film zu machen, hätte er es nicht besser anstellen können. Nachdem er eingestiegen war und all diese Bedingungen gestellt hatte, hielt er das ganze Projekt sozusagen im Würgegriff. Einige Leute zogen sich zurück, und der Verleih, der im Prinzip interessiert war, überlegte es sich anders. Am Ende war Orlando alles egal. Er ist nach Spanien gegangen, um einen Vampirfilm zu machen.«
    »Und du? Bist du enttäuscht?«
    »Ach, was. Und vielleicht ist es sowieso am besten so. Es gibt eine Rolle in dem neuen Woody Allen, der in London gedreht wird. Ich treffe mich nächste Woche mit ihm. Wahrscheinlich ist es großer Mist, aber es ist immerhin Woody Allen.«
    Der letzte Film von Woody Allen, den Lesley gesehen |394| hatte, war im Fernsehen gelaufen, und sie hatte ihn sehr gemocht, aber er war bestimmt mindestens dreißig Jahre alt. Alle letzten Sachen hatten so ätzende Kritiken bekommen, dass sie nicht hingegangen war. Wie alt war er eigentlich? Mindestens siebzig, keinen Tag jünger.
    So war das allerdings in der Regel mit Künstlern, dachte Lesley. Schriftsteller, Regisseure, Maler, Musiker: Wer nicht früh starb, schien ewig zu leben. Arbeitete weiter, bis er umfiel, so war es jedenfalls meistens. Und einige von ihnen schienen zu neuem Leben zu erwachen, eine neue Richtung zu finden, sogar besser zu werden, während andere sich lediglich wiederholten und unfähig oder nicht gewillt waren zu erkennen, dass verloren war, was sie früher gehabt hatten.
    Sie fragte

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