Splitterndes Glas - Kriminalroman
demselben Vorführraum wie beim ersten Mal.
»Es gibt nur noch ein oder zwei Fragen, die wir Ihnen stellen wollen«, erklärte Will.
McKusick wartete.
»Was die Trennung von Stephen betrifft: Wie Sie es zuvor dargestellt haben, war der Grund die Arbeit, sein Bedürfnis nach mehr Raum und mehr Zeit, etwas dergleichen?«
»Das ist richtig.«
»Kein anderer Grund?«
»Nicht dass ich wüsste, nein.«
»Nicht dass Sie wüssten?«
|48| »Nein.«
»Es könnte also noch etwas anderes gegeben haben, etwas, das er Ihnen nicht gesagt hat, aus welchem Grund auch immer?«
McKusick verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl. »Das ist möglich, aber nein, das war nicht die Art von Beziehung, die wir hatten. Wenn da etwas gewesen wäre, etwas Wichtiges, hätte er es gesagt.«
»Auch wenn er sich mit jemand anderem getroffen hätte?«
McKusick lachte. »Das ist absurd.«
»Absurd, dass es passiert wäre oder dass er Ihnen nicht davon erzählt hätte?«
»Das eine und das andere. Beides.«
»Sie hatten also eine offene Beziehung?«, fragte Helen.
»In welchem Sinn?«
»In jedem Sinn, in dem Sie es verstehen wollen.«
McKusick schüttelte den Kopf. »Wenn Sie meinen, dass wir offen zu einander waren, was unsere Gefühle betraf, würde ich Ja sagen. Aber wenn Sie meinen, ob wir uns beide die Freiheit genommen haben, dem Stereotyp zu entsprechen, dann Nein.«
»Und welches Stereotyp ist das?«
»Ach, kommen Sie.«
»Nein, bitte. Sagen Sie es mir.«
McKusick sah sie an, bevor er antwortete. »Das, was die sogenannten Heteros so gerne an die Wand malen. Promiskuität, auf die Pirsch gehen, jede Menge Sex.«
»Und Sie meinen, so ist das nicht?«, fragte Helen ironisch.
»Überhaupt nicht.«
»Sie und Stephen«, übernahm Will die Führung, »waren sich also treu, als Sie zusammen waren?«
|49| »Ich kann nicht erkennen, was Sie das angehen sollte.«
»Wirklich? Ist das nicht ein bisschen naiv?«
»Was soll das heißen?«
»Ihr Expartner wird tot in seinem Haus aufgefunden, vermutlich von einem anderen Mann ermordet, es gibt keine Anzeichen eines gewaltsamen Eindringens, und Sie können nicht erkennen, warum wir die Frage nach der Treue stellen?«
McKusick holte Luft. »Die Lage war doch inzwischen anders.«
»Weil Sie nicht mehr zusammen waren?«
»Ja.«
»Also, wer immer es getan hat, könnte jemand sein, den er kennengelernt hat? Jemand Neues?«
»Nein.«
»Nein?«
McKusick schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich meine, es ist möglich, theoretisch jedenfalls, aber nein, ich glaube es einfach nicht.«
»Und warum nicht?«, fragte Helen.
»Weil es bei unserer Trennung ja gerade darum ging, dass Stephen mehr Freiheit benötigte, wie ich schon sagte, mehr Raum und mehr Zeit. Er wollte sich doch nicht gleich wieder in eine Beziehung stürzen.«
»Es gibt verschiedene Arten von Beziehungen«, sagte Helen. »Nicht alle benötigen eine Menge Raum oder Zeit.« McKusick wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Ohne in dieses Klischee von der schwulen Szene verfallen zu wollen, das Sie zurückgewiesen haben«, fuhr Helen fort, »ist es nicht möglich, dass es einfach jemand war, mit dem er Sex haben wollte? Etwas Unverbindliches?«
»Nein.« McKusicks Ton war bestimmt.
»Aber Sie können nicht sicher sein.«
|50| »Doch.«
»Wie? Wie ist das möglich?«
»Ich kannte ihn. Ich habe ihn geliebt.«
»Das bedeutet doch nicht …« Helen hielt inne.
»Hören Sie«, sagte McKusick, »die Szene, wie Sie das nennen, war Stephen ein Gräuel. Er hasste sie. Man kriegte ihn ebenso wenig in eine schwule Bar, wie man ihn dazu überreden konnte – was weiß ich –, an einem Samstagnachmittag die Stadt Leicester zu besichtigen.«
»Es gibt andere Methoden, Leute kennenzulernen«, sagte Will. »Besonders heutzutage.«
»Meinen Sie das Internet?«
»Unter anderem.« Will erinnerte sich vage, irgendwo gelesen zu haben, dass der Dramatiker Joe Orton die meisten Partner für die ganz harten Sachen auf Baustellen getroffen hatte. War das nicht sogar in Leicester gewesen?
»Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte über Stephen«, sagte McKusick und beugte sich vor. »Sie ist vor mehr als zwei Jahren passiert, fast drei, und wir waren noch nicht lange zusammen. An dem speziellen Abend – das war, bevor wir hierhergezogen sind – waren wir in einem Pub. Es war keine Schwulenkneipe, ganz und gar nicht, aber jedenfalls saßen wir da und tranken, und plötzlich bekamen wir aus heiterem Himmel Streit. Ich
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