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Splitterndes Glas - Kriminalroman

Splitterndes Glas - Kriminalroman

Titel: Splitterndes Glas - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Vergewaltigung – genügen würde, ihn davon abzuhalten, sich je wieder in eine solche Situation zu bringen?«
    »Bestimmte Arten von Schmerzen vergessen wir einfach«, sagte Helen. »Egal, wie stark sie zu der Zeit waren oder wie oft wir uns geschworen haben, sie nie wieder erleiden zu wollen, irgendwie gehen wir doch das Risiko ein, wenn wir glauben, dass es sich lohnt. Warum würden Frauen sonst immer wieder Kinder bekommen, zum Beispiel?«
    »Moment mal, du setzt doch nicht die Geburt eines Kindes gleich mit   …?«
    »Du weißt, was ich sagen will.«
    »Also glaubst du, dass er trotz seines früheren Erlebnisses auf die Pirsch gegangen ist und den Falschen aufgegabelt hat?«
    »Halte ich für möglich.«
    Will stellte seinen Kaffee ab. »Die Art, wie er geschlagen |54| wurde – das Ausmaß der Wut   –, es ist entweder ganz, ganz persönlich oder   … ich weiß nicht   … das Gegenteil. Absolut unpersönlich.«
    »Aber nicht nur ein Raub? Du denkst dabei nicht an Raub?«
    »Nein.«
    »Du denkst, der Grund ist, was er war. Dass er schwul war.«
    »Irgendwie, ja. Wahrscheinlich.«
    »Mir ist etwas eingefallen«, sagte Helen, nachdem sie beide eine Zeit lang ihren Gedanken nachgehangen hatten. »Und zwar der Fall vor relativ kurzer Zeit, als dieser Typ im Park totgeschlagen wurde – ich weiß, es ist nicht das Gleiche, aber   …«
    »Du hast recht«, sagte Will. »Es ist nicht das Gleiche.«
    Helen trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Zwei Frauen mit fünf Kindern und zwei Buggys kamen in das Café und stellten die Buggys so ab, dass eigentlich niemand mehr hinein- oder hinausgehen konnte. Das ist ja die reinste Kinderkrippe hier, dachte Helen.
    »McKusick hat doch behauptet«, sagte sie, »dass viele Leute der Meinung sind, wer vergewaltigt wird, hätte das herausgefordert. Glaubst du, das stimmt?«
    »Es hängt von den Umständen ab, aber ja, ich weiß, dass eine Menge Leute so denken.«
    »Auch bei der Polizei?«
    »Wir sind nicht anders als alle anderen.«
    »Wäre aber vielleicht besser.«
    »Ist es nicht einfach schwierig?« Will senkte die Stimme. »Du weißt doch, wie es ist. Lange nach Mitternacht erscheint eine Frau im Revier, Alkoholpegel über dem Limit, spärliches Oberteil, das alles zeigt, was sie hat, ein Rock, der weit über die Schenkel gerutscht ist. Sie sagt, sie ist vergewaltigt |55| worden. Da fällt es schwer, nicht zu denken, dass sie zumindest teilweise dazu beigetragen hat.«
    »Du meinst, es ist ihre Schuld?«
    »Das sage ich nicht.«
    »Wirklich nicht?«
    »Ich sage, wenn sie nicht die letzten zehn Jahre in einem Kloster gelebt hat, muss sie wissen, wie es freitag- und samstagabends da draußen in den Pubs und Clubs zugeht. Du donnerst dich auf, vielleicht eine Spur nuttig   …«
    »Nuttig, Will?«
    »Also gut, du machst dich so schön wie möglich. Aber dann kommen billiges Lagerbier, billiger Schnaps, Alkopops, Bacardi Breezer, was auch immer. Ehe du dich versiehst, bist du halb besoffen und setzt dich Risiken aus.«
    »Und du verdienst, was dir passiert?«
    »Mein Gott! Wie oft denn noch? Das sage ich doch gar nicht.«
    »Aber es klingt so.«
    Will seufzte. »Hör zu. Du steckst deine Hand in eine Falle, und wenn du nicht strohdumm bist, weißt du, dass du ein paar Finger aufs Spiel setzt. Wenn du ein schwuler Mann bist, auf Sex aus, und jemandem in die Büsche folgst, trifft das Gleiche zu: Du solltest das Risiko kennen. Alle Risiken. Man sollte auf der Hut sein, die Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Das ist es, was ich meine.«
    »Und das wirst du deiner Tochter sagen, wenn sie in dem Alter ist? Auch deinem Sohn?«
    »Ja.«
    »Und wenn eins deiner Kinder am frühen Morgen nach Hause kommt und blutet, weil es vergewaltigt wurde, was sagst du dann? Das hättest du doch wissen müssen? Du hättest das Risiko kennen sollen?«
    Wills Miene verdunkelte sich.
    |56| »Und?«, sagte Helen.
    »Gehen wir«, sagte Will. »Es gibt eine Menge zu tun.«
    Er trank hastig seinen Kaffee aus und Helen tat es ihm nach. Der Wagen war in der Nähe geparkt. Keiner von beiden sprach, bis sie fast beim Revier angekommen waren.
    »Gibt es Beweise«, sagte Helen dann, »dass Stephen Bryan Sex hatte, bevor er getötet wurde?«
    »Bislang nicht. Ich vermute stark, dass die Ergebnisse der Laboruntersuchungen erst in ein paar Tagen kommen.«
    »Aber wir lassen trotzdem jemanden die Schwulenclubs abklappern? Und Bryans Foto zeigen? Ungeachtet dessen, was McKusick gerade gesagt

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