Splitterndes Glas - Kriminalroman
haben.«
»Möglicherweise.«
|193| »Ich könnte Fenwick herbringen lassen, damit er ein paar Bilder ansieht.«
»Kann nicht schaden.« Will schob seinen Ärmel hoch, um auf die Uhr zu sehen. »Wir sollten jetzt zurück.«
»Man ist versucht, die Pünktchen zu einer Linie zu verbinden, richtig?«, sagte Helen, als sie losgingen.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, Bryan bekommt einen bedrohlichen Anruf, auf den er nicht reagiert. Also, was macht unser Anrufer? Er kommt vorbei und will Bryan persönlich aufsuchen. Je schwieriger es ist, mit ihm zu sprechen, desto wütender wird er.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist zu einfach, oder? Zu simpel gedacht?«
»Das ist das Problem mit den Pünktchen«, sagte Will. »Aber es ist wenigstens etwas. Eine Art Durchbruch. Davon haben wir nicht allzu viele gehabt.«
Sie waren wieder an der Straße und standen dem hässlichen Gebäude aus Zement und Backstein gegenüber, in dem sie einen so großen Teil ihres Lebens verbrachten.
»Lass uns erst den Mann finden, wenn wir können«, sagte Will. »Und dann sehen wir weiter.«
»Und wir bleiben trotzdem an McKusick dran?«
»Ja.«
17
Das Haus war dreistöckig und von der glatten Fassade begann hier und da die Farbe abzublättern. Ein Zaun aus Eisenstäben und eine hohe Hecke trennten es von der Straße. Es war ein Teil von London – Notting Hill –, den Lesley kaum kannte, abgesehen von einer Anzahl Bilder, die aus dem Fernsehen stammten.
|194| Eine schwarz-weiße Katze mit Stummelschwanz spähte von dem niedrigen Fenstersims neben der Tür zu Lesley herüber, sprang herunter und rannte in Richtung des angrenzenden Gartens davon. Lesley legte ihren Daumen auf den Klingelknopf in Form einer Elfenbeinraute.
Die Frau, die an die Tür kam, hatte Olivenhaut und langes, kunstvoll verwuscheltes blondes Haar, von dem ihr einige Strähnen ungeordnet in das perfekte Gesicht und in den Nacken hingen. Siebzehn, fragte Lesley sich? Achtzehn?
»Lesley Scarman. Ich bin hier, um Orlando Rocca zu treffen. Um drei?«
Die junge Frau drehte sich um, ging ins Haus zurück und überließ es Lesley, ob sie ihr folgen wollte oder nicht.
Beim Eintreten schloss Lesley die schwere Tür hinter sich und ging durch einen hohen Flur. An den Wänden hingen gerahmte Plakate von Filmen, die Rocca gemacht hatte. ›Last Target‹, ›Nick’s Blues‹, ›Truth‹ und ›Black Bullet‹. Auf diesem letzten war Natalie zu sehen, die sich in zerrissenem Top und langem Rock hochgestylt breitbeinig an eine Mauer aus groben Steinen lehnte und eine Zigarette rauchte.
Das hat Klasse, dachte Lesley.
Sie betrat einen riesigen Raum am Ende des Flurs – zwei Räume, die vor langer Zeit zu einem gemacht worden waren – mit grellen abstrakten Bildern an den grünen Wänden und wenigen Möbeln, abgesehen von zwei niedrigen Sofas und einem großen Mahagonitisch, an dem sich ein Mann, der ein schwarzes T-Shirt und schwarze Jeans trug, in einem kleinen Skizzenbuch Notizen machte. Er war vollkommen kahl.
»Orlando Rocca?«
Er sah träge auf, schob seine Brille auf der Nase nach |195| vorn. Seine Augen waren von einem dunkleren Grün als die Wände, gingen zu Schwarz über. Er lächelte und zeigte regelmäßige weiße Zähne, die, wie Lesley vermutete, für viel Geld überkront worden waren. Wenn sie nicht schon gewusst hätte, dass er neunundvierzig war, hätte sie es schier unmöglich gefunden, sein Alter zu schätzen.
»Sie sind eine Freundin von Natalie?« Er umschloss ihre Hand mit beiden Händen. »Und möchten über Stella Leonard reden?« Seine Stimme war leise und er sprach mit deutlichem Akzent. Italienisch, dachte Lesley, war sich aber nicht sicher.
»Kommen Sie«, sagte er, »lassen Sie uns zuerst etwas trinken.«
»Nein, danke«, sagte Lesley mit einem Kopfschütteln.
Rocca trat einen Schritt zurück und musterte sie von oben bis unten. »Sind Sie vielleicht schwanger?«
Lesley errötete und schüttelte den Kopf.
»Und Sie müssen auch nicht Auto fahren?«
»Nein.«
»Dann trinken Sie bitte ein Glas Wein mit mir. Vermentino. Aus Sizilien. Er erleichtert die langen Nachmittagsstunden.« Er zeigte auf die beiden Sofas. »Bitte, setzen Sie sich.«
Das zerknitterte Leder der Kissen gab unter ihrem Gewicht nach, und sie merkte, dass sie tiefer versank, als es bequem war. Als Rocca mit zwei tulpenförmigen Gläsern zurückkehrte, hatte sie sich auf die vordere Kante des Sofas geschoben und die Beine seitlich ausgerichtet.
Er stieß mit ihr
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