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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Menschheit geeint bleibt.«
    Sein Blick wanderte zu Delifor. Der junge Priester hockte auf einem Schemel in der Nähe; in den Händen hielt er eine Pergamentrolle. Mit einem Kohlestift kritzelte er Schriftzeichen auf die Tierhaut.
    »Zweifelst du daran, Delifor? Glaubst du nicht an die Einheit der Menschen?« Tarnac beobachtete den Priester aus zusammengekniffenen Augen. »Wir müssen uns von dem Hass befreien, der auf Gharax die Völker aufeinander hetzte … in einer letzten, furchtbaren Schlacht. Der Kopf eines Königs wird rollen, seine Züge entstellt und sein Name vergessen werden. Dann erst herrscht Einheit.«
    Delifor sah auf. Er hatte die Haare zusammengebunden, seine Wangen waren unrasiert. Er wirkte erschöpft. »Ich glaube Euch, mein König. Ihr wollt unser Bestes, und ich schreibe Eure Taten gewissenhaft auf, für die Nachwelt. Aber ich will sie auch verstehen.« Er zögerte. »Warum reicht Ihr Eshandrom nicht die Hand zum Frieden? In dieser Schlacht werden so viele sterben, die schuldlos sind. Und warum raubt Ihr den Menschen von Venetor das Augenlicht? Was haben Sie getan, dass Ihr sie auf diese Weise straft?«
    »Wir müssen eins sein«, beharrte Tarnac. »Unsere Augen müssen dasselbe sehen, unsere Herzen dasselbe lieben. Natürlich werden viele sterben. Einige werden verhungern, andere nach Gharax zurückkehren wollen und im Silbermeer ersaufen. Am Ende aber wird die Menschheit geeint sein – unter meiner Herrschaft. Blut von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch, beseelt von meinem Willen.« Seine Worte klangen beschwörend. »Für die Zukunft lohnt es sich, ein solches Opfer zu bringen. Wer jetzt feige ist, vergeht sich an unserem Schicksal und handelt selbstsüchtig … so wie Ashnada, meine schöne und wilde Schwester. Sie wollte sich nicht opfern und verleugnete alles, was sie zu einer Igrydes machte: ihre Heimat, ihren Stolz und die Liebe zu ihrem König. Sie richtete das Schwert gegen mich, weil sie mit sich uneins war. Nur der Tod konnte ihr den Frieden zurückbringen; und ich schenkte ihn ihr, als ich sie nach Tyran sandte.« Tarnacs Augen glitzerten grausam. »Es gilt für uns alle, für jeden, den das Kind Laghanos gerettet hat. Wir müssen uns opfern und Gharax vergessen. In uns stirbt das Alte, Vergangene, damit das Neue heranwachsen kann. Nur so werden wir eines Tages stark genug sein, zurückzukehren.«
    Delifor runzelte die Stirn. »Ihr sprecht in Rätseln, mein König.«
    »Das Armband.« Tarnac krempelte den Ärmel seines Gewands hoch. Der Turmbinder blitzte unter dem Stoff auf. »Das Schicksal hat es mir zugespielt. Eines Tages wird einer meiner Nachfolger mit seiner Hilfe das Silbermeer überqueren und die Goldéi verjagen. Wenn ich erst Eshandrom besiegt habe, lasse ich das Dorf niederbrennen, in dem es gefunden wurde. Niemand darf von dem Armband erfahren; nur dir vertraue ich sein Geheimnis an, dir und deinen Schriften.«
    Delifor erblasste. »Und die Fischer? Was wird aus ihnen, und was aus dem Gefangenen am Pfahl?«
    »Diese Schurken haben mir noch nicht alles über den Turmbinder erzählt. Aber das werden sie, wenn ich erst Zeit finde, mich mit ihnen zu befassen. Solange lasse ich sie nicht aus den Augen. Sie werden heute mit mir in die Schlacht ziehen, an meiner Seite untergehen oder leben, wie das Schicksal es bestimmt.«
    Tarnac der Grausame griff nach einer Brashii, die vor ihm auf dem Boden lag. Er legte die Hand auf das Griffbrett, drehte behutsam an der hölzernen Spindel, die die Saiten anschlug. Ein klarer, strahlender Ton fügte sich in die Melodien, die durch das Fenster des Turrals drangen.
    In der Halle senkten die Gyraner die Häupter, um den König zu ehren. Er würde sie in die Schlacht führen und siegen.
     
    Rau schlug der Wind an die Küste. Das Wasser in der kleinen Bucht schäumte, die Dachschindeln der Hütten klapperten. Über dem Fischerdorf Rhagis dräute ein bleierner Himmel. Es würde bald regnen, so ahnten die Bewohner des Dorfs. Nasskalte Tage standen ihnen bevor, in denen man besser nicht vor die Tür ging, geschweige denn aufs Meer hinausfuhr; Tage, in denen man sich am besten in der warmen Stube zusammenkauerte und die Mägen mit ein paar ›Raschen‹ besänftigte.
    Hoch oben auf einem Felsen stand einsam und windschief die Rote Kordel, das wildeste Gasthaus Morthyls, gefeierter Ort der Verwerfung und Freude, des Umtrunks, der Unzucht, Suffhaus und Suppenstube, kurz – das pochende Herz des verschlafenen Dorfs. Heute aber brannte kein

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