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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Er war ein alter Schuster aus Venetor, sein Gesicht wettergegerbt. Als die Gyraner ihn am Schopf packten und zwangen, aufzublicken, schluchzte er.
    »Was siehst du, alter Mann? Sprich!«
    Nieselregen sprühte ihm ins Gesicht. An den Nasenflügeln bildeten sich Tropfen und kullerten herab. Er achtete nicht auf sie, sondern blickte geradeaus. Hinter ihm hörte er die Schreie seiner Söhne, seiner Frau. Die Gyraner hatten sie alle zu Venetors Nadel geschleift, ohne Ausnahme.
    »Sag uns, was du siehst!«
    »Festes Land«, flüsterte der Schuster. »Wehendes Gras. Eine Weide, die bis zum Horizont reicht. Ich sehe sie ganz deutlich!«
    Er log. Vor ihm lag der See Velubar, seine Farbe schmutzigbraun wie eh und je. Der Regen trommelte auf der Wasseroberfläche, und Wellen schlugen an das Ufer.
    »Ja, üppiges Gras, die Halme wogen und rauschen«, er redete hastig weiter, »und Schmetterlinge tanzen über ihnen. Sie fliehen vor dem Regen … nun lasst mich los, bitte, lasst mich los.«
    Er sah zu seinen Peinigern auf. Hinter ihm standen zwei Igrydes. Auf ihren Rücken waren Brashii und Schwertscheiden festgeschnallt, und sie trugen lederne Röcke mit eingewirkten Stahlscheiben. Sie waren gerüstet für eine Schlacht.
    »Schmetterlinge«, höhnte einer der beiden. »Ich glaube, er lügt. Er sieht die neue Welt nicht.«
    »Er sieht sie nicht«, bestätigte der andere. »Unser königlicher Bruder warnte uns vor jenen, die die Augen nicht öffnen wollen.«
    »Aber ich sehe das Land … ich schwöre es!« Der Schuster schluchzte. »Glaubt ihr mir nicht? Zeigt es mir … sagt mir, was ich sehen soll … dann will ich es versuchen!« Sein Kopf fuhr zum See herum. Er riss die Augen auf, blinzelte angestrengt.
    »Der König duldet es nicht«, hörte er den ersten Gyraner raunen. »Wer das Land nicht sieht, gefährdet Tarnacs Herrschaft. Wir müssen uns lossagen von Gharax. Wir müssen unsere Augen der Zukunft öffnen.«
    »Aber das will ich doch … ich will es so gern …« Der Schuster glaubte nun tatsächlich, Schemen über dem See zu erkennen, unförmige Gestalten, die im Nieselregen tanzten. Aber es waren nur Schleier, die der Wind vor sich hertrieb; kein Land weit und breit. »Helft mir doch.«
    Grob zerrte der erste Gyraner ihn vom Ufer zurück. »Öffne die A ugen. Für Tarnac von Gyr und die neue Welt.«
    Der Schusser sah einen Dolch aufblitzen. Schon schnitt die Klinge quer über sein Gesicht, von der linken Schläfe über die Nasenwurzel bis zum rechten Ohr. Die Welt um ihn verwandelte sich in einen roten Strom, der auf ihn einstürzte, ihn fortriss, ihn allein ließ mit jenem letzten, furchtbaren Bild: ein dreckiger, blutüberströmter Acker, zertreten, modrig, die Pfützen rotgefärbt. Der Wind trug die Klänge der Brashii an sein Ohr, und seine Schreie mischten sich mit jenen der an deren Geblendeten.
    Für die Menschen von Venetor erlosch eine Welt. Verzweiflung und Entsetzen traten die Herrschaft an, und Dunkelheit.
     
    Die Brashii waren bis zum Haff zu hören. Ihre schaurigen Weisen hallten durch die offenen Fenster des Turrals, der alten Prunkhalle der vodtivischen Herrscher. Innen herrschte Unruhe. Gyranische Kriegsherren rannten umher, ließen sich von ihren Knechten in die Rüstungen helfen, gürteten Waffen um. Einige eilten durch die geöffneten Flügeltüren nach draußen in den Regen; andere warteten vor den goldenen Wänden auf ihren König.
    Tarnac von Gyr war die Ruhe selbst. Auch er hatte einen Brustpanzer angelegt. Den Kopf schützte ein rostbrauner Helm, ein dünnes Schwert ruhte in seinen Händen. Langsam schwang er es umher, lauschte dem Pfeifen der Klinge in der Luft. Seine Augen waren auf die Schwertspitze gerichtet.
    »Ein letzter Krieg. Eine letzte Schlacht, um die Menschheit zu einen.« Seine heisere Stimme war kaum zu verstehen. »Gharax liegt hinter uns, und die Zukunft ist ungewiss. Das Kind Laghanos weigert sich, sie uns zu enthüllen.« Er ließ die Klinge in die Schwertscheide gleiten, die am Gürtel festgezurrt war. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass mich jemand herausfordert. Eshandrom von Kathyga erhebt Anspruch auf die Königswürde, er fordert mich zur Schlacht. Wie dreist und wagemutig! Denn auf dieser Welt darf es nur einen König geben; einen Retter, einen Erben des Kindes.« Sein Tonfall wurde schärfer. »Ein letzter Krieg, der die Erinnerung an Gharax auslöscht. Eine letzte Schlacht, um alte Feindschaft zu überwinden. Ja, ich stelle mich Eshandrom, damit die

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