Splitternest
an. Die Sphäre greift nach dem Felsen.« Er sah zur Roten Kordel auf. »Uliman ist nah.«
Der Regen hatte den Acker aufgeweicht. Er war nun ein schlammiger Sumpf, jeder Schritt wurde zur Qual. Die Stiefel der Gyraner sackten tief ein; die Waffenröcke drückten sie zu Boden, und viele hatten die Helme abgenommen, um sich von der Last zu befreien. Sie kamen langsam voran. Der Morast zwang sie alle in die Knie; die Krieger und Waffenknechte, die Igrydes und königlichen Wachen. Fast zehntausend Mann waren es, die meisten von ihnen Gyraner, aber auch Candacarer, Kathyger und Sitharer, die sich Tarnac ergeben hatten. Ein mächtiges Heer … aber es marschierte nicht, es kroch.
Inmitten des Zugs glitt ein riesiger Schlitten durch den Dreck; ein Ungetüm aus knotigem Holz, beladen mit Waffenkisten und Schleudern. Er maß wohl acht Schritt in der Länge und war so schwer, dass zehn Leute ihn schleifen mussten. Mit Seilen zerrten sie ihn durch den Dreck; die Trossen zerfetzten ihre Kleider, die Stiefel blieben mehr als einmal im Grund stecken. Aber der gyranische Antreiber gab keine Ruhe.
»Zieht! Zieht endlich, Pack!« Das Ende seiner Peitsche knallte über den Köpfen der Gefangenen.
»Jaja, zieht, zieht«, schnaufte Ungeld. »Es fiele mir leichter, wenn ich den Strick ihm oder seinem König um den Hals legen könnte. Dann würde ich mit aller Kraft ziehen, das dürft ihr mir glauben.« Der Netzknüpfer aus Rhagis war ein rundlicher Kerl mit unrasiertem Gesicht und einem Turban aus zerschlissenen Fischernetzen. Er zog ganz vorne am Schlitten. Das Seil hatte sein Wams an der Schulter aufgescheuert, die Haut lag bloß.
»Ach ne. Jetzt spuckst du große Töne, wo du sonst immer feige den Schwanz einziehst.« Neben ihm rackerte sich Parzer ab. Der tolldreiste Fischer hatte noch längst nicht verwunden, dass er mit seinen Freunden Ungeld und Mäulchen in Gefangenschaft geraten war. »Wärst du damals nur so tapfer auf die Gyraner losgegangen, als wir ihre Galeere verfolgten! Dann wären wir jetzt nicht hier, und König Tarnac würde Schlamm aus meinem Stiefel saufen.« Parzers Gesicht glänzte vor Regen und Schweiß; aus dem Kinnbart troff das Wasser wie aus einem vollgesogenen Schwamm.
»Das bezweifle ich«, stöhnte hinter ihm Schalim. »Ganz ehrlich, Parzer, nur ein Tor hätte sich zur Wehr gesetzt. Wir können froh sein, dass Tarnac uns am Leben ließ.« Seufzend zerrte der Prasser an dem Seil. Er war hocherfreut gewesen, als die Gyraner ihn von dem Pfahl am Haff losgebunden und zu den anderen zurückgeschickt hatten. Um so mehr verfluchte er die Demütigung, die ihm hier zuteil wurde. Den Schlitten zu ziehen war niederste Sklavenarbeit, und entsprechend unverstanden fühlte sich Schalim.
»Hast du Angst vor dem König, Prasser?« höhnte neben ihm eine Frauenstimme. »Er hat dich wohl am Haff gut weich geklopft.« Mäulchen, die einzige Frau unter den Gefangenen, zog nicht an dem Schlitten. Sie begleitete gefesselt den Zug. »Statt zu klagen, solltest du lieber nachgrübeln, wie wir uns an Tarnac rächen könnten.«
»Den König noch einmal herausfordern?« Schalim schüttelte den Kopf, so dass seine Locken umherflogen. »Bloß nicht. Der lässt uns am Ende noch umbringen, und mich stellt er wieder gegen den Pfahl. Elend ging es mir dort, ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen. Dass er mich wieder mit euch zusammengeführt hat – auch mit dir, herbe Schönheit –, ist ein Segen.«
Mäulchen rümpfte die Nase. »Tarnac brauchte eben ein paar starke Arme, die seinen Schlitten zerren. Da kamst du gerade recht.«
»Ja, er braucht jeden, der das neue Land sehen und betreten kann.« Keuchend drückte der Prasser das gespannte Seil mit der Schulter voran. »Ach, ich bin für diese Arbeit nicht geschaffen, nicht ich, nicht mein Körper. Tanz, Musik, ein schöner Bauchnabel, aus dem ich perlenden Wein trinken kann, zwei Schenkel, die mich nach einem heißen Tag knacken wie eine Nuss … das ist mein Leben.«
»Ach ne! Eine Nuss!« Missmutig trat Parzer gegen den Schlitten, der sich kaum voranbewegte. »Und überhaupt, was machen wir hier eigentlich auf diesem Schlammfeld? Wir, die Erben Varyns, ziehen Tarnacs Waffenkisten! Dieser Kotwurm …«
»Ruhe da vorne!« Der gyranische Aufseher ließ erneut seine Peitsche knallen. »Seid still, oder ich zerschneide eurer kleinen Schwester die Fratze.«
Die Gefangenen murrten und senkten die Köpfe. Nur Mäulchen fluchte leise.
»Kleine Schwester? Sehe ich so aus,
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