Splitternest
unberechenbar, seit …« Er hielt inne.
»Seit mein Vater tot ist, sein bejubelter Freund Torsunt? Oder seit sein missratener Sohn Blidor in einem Felsspalt zerquetscht wurde? Das war ein Fest für mich! Einmal, einmal in seinem Leben hat dieser Unmensch selbst gelitten und selbst jemanden verloren, der ihm teuer war … Ach, Garalac, ich wünschte, ich wäre dabei gewesen, als Uliman die anderen Fürsten getötet hat, das ganze verlogene Pack … als sich die silbernen Ketten um ihre Hälse zuschnürten. Welche Freude hätte ich an Scorutars Röcheln gehabt oder an Arkon Fhonsas aufgequollenen Äuglein!« Akendor stolperte vom Fenster fort. »Nur Binhipar ist entkommen … und hört nicht auf, mich zu quälen. Die Hunde – wo sind sie? Ich höre jede Nacht ihr Gebell. Du darfst sie nicht zu mir lassen, Garalac!«
»Die Hunde sind weit weg«, beruhigte ihn der Troublinier. »Binhipar hat sie in ein altes Badhaus sperren lassen. Hier im Turm sind wir sicher. Und draußen wacht Euer Volk. Es ruft nach Euch.«
Wieder schwollen die Stimmen an. Deutlich war Akendors Name zu hören, ein Ruf aus vielen Mündern.
»Es ist seltsam, Garalac – damals, als ich Vara verließ und mich nach Thax zurückzog, hat niemand nach mir geschrien. Sie hatten mich alle vergessen, sie wollten mich vergessen … und mir war es recht. Ich wollte ihre hündische Verehrung nicht. Doch als Syllana starb, meine geliebte Syllana, und kein Mensch um sie trauerte, begann ich sie zu hassen. Die Kaiserin wird von wilden Hunden zerrissen, aber das Volk schweigt! Kein Wort des Bedauerns, kein Trauerzug im ganzen Reich. Jetzt kommen sie angekrochen und plärren meinen Namen … ach, ich verachte sie! Für ihren Wankelmut, für ihre Selbstsucht, für ihr kurzes, so kurzes Gedächtnis. Sie sollen mich in Frieden lassen, hier in meinem Turm.«
Garalac wollte etwas erwidern, doch er hörte Schritte hinter der Eichentür, das Rasseln eines Schlüsselbunds, ein Scharren im Schloss. Die Tür schwang auf.
Im schwachen Licht einer Laterne zeichnete sich die breitschultrige Gestalt eines Mannes im Türrahmen ab; das Gesicht grob und bärtig, die Augen stechend. Es war Binhipar Nihirdi, der Fürst von Palidon. Seine Stiefel knallten, als er durch den Saal auf Akendor zuschritt. Die zu Zöpfen geflochtenen Bartenden flohen ihm voraus. Zwei Klippenritter folgten, ihre Hände lagen an den Schwertgriffen. Zuletzt trat die Frau des Fürsten ein, Darna Nihirdi, eine untersetzte Frau mit schlaffen Wangen und grauem Haar. Sie hielt die Laterne, die den Turmsaal mit trübem Licht füllte.
Binhipar blieb einige Schritte vor dem Kaiser stehen. »Zehn Ketten. Zehn Fürsten.« Er knöpfte den Mantel auf und enthüllte seinen Hals. Unter dem Bart war eine vernarbte Wunde zu erkennen, ein länglicher roter Wulst. »Kennt Ihr sie noch, Majestät – die Namen der zehn Gründer? Suant und Nihirdi, Lomis und Geneder, Imer und Fhonsa, Aldra und Turr, Thim und Thayrin … unsere Ahnen, die Gründer des Südbunds. Geboren in Vara, ermordet in Persys, begraben im Berg von Carmand. Zehn Namen, die uns binden. Zehn Ketten, die uns an ihre Taten erinnern.« Er fuhr mit dem rechten Daumen die Wunde nach. Unter dem Fingernagel starrte Dreck. »Ihr Erbe ist ausgelöscht, der Silberne Kreis zerbrochen. Euer Sohn hat uns jeder Hoffnung beraubt. Nun schweigen die Ahnen. Als meine Kette zersprang, verstummte Nihirdis Stimme für immer.« Binhipars Augen glommen auf. »Habt Ihr jemals die Ahnen zu Euch sprechen hören, Akendor? Hat Thayrin Euch Rat erteilt, so wie mir mein Urahn Nihirdi? Ich bin sicher, er hat es versucht. Er hat auf Euch eingeredet in dunkler Stunde, aber Ihr habt nicht zugehört. Ihr habt Eure Ohren verschlossen wie die anderen Fürsten! Dies ist der wahre Grund, warum wir dem Untergang geweiht sind.«
Akendor senkte den Blick. Er rang sich zu einer Antwort durch. »Die Ahnen sprachen zu Euch? Wie schön, Binhipar … wirklich, es freut mich. Zu mir sprach niemand, selbst als ich noch ein Kind war. Nicht einmal mein eigener Vater. Und Ihr …«
Binhipar unterbrach ihn rüde. »Euer Vater wusste, welchen Schwächling er gezeugt hat. Er war stets in Sorge, was aus Sithar werden sollte, wenn Ihr ihm nachfolgt, und oft hat er sich mit mir darüber beraten. Als sein Freund gab ich ihm den Rat, das Gesetz der Thronfolge zu ändern, den Kaiser wieder vom Silbernen Kreis wählen zu lassen, wie es nach der Reichsgründung üblich gewesen war, ehe Ewaron Turr es zu ändern
Weitere Kostenlose Bücher