Splitternest
Widerschein der Flammen.
»WIR SIND HIER … ENDLICH SIND WIR … ANGEKOMMEN … ENDLICH SIND WIR …«
Die Stimmen vermischten sich zu einem geisterhaften Chor, der von den Wänden der Gasse widerhallte. Die Fremden taumelten, wankten immer unsicherer, je näher sie den Flammen kamen.
»WIR SIND … ENTKOMMEN … DIE GOLDÉI JAGTEN UNS VERGEBLICH … DIE NEUN PFORTEN HABEN UNS BESCHÜTZT … ENDLICH SIND WIR … BEI EUCH … LÖSCHT JETZT DIE LICHTER … LASST UNS FEIERN … DEN MOND BESINGEN … MONDSCHLUND HAT GESIEGT … ENDLICH … HAT MONDSCHLUND GESIEGT …«
Die Klippenritter wichen zurück. Ein Feuerkorb stürzte um. Brennendes Öl strömte in die Gasse. Flammen stoben empor. Die Fremden verharrten für einen Lidschlag. Dann setzen sie ihren Weg fort.
»SEID UNBESORGT … ENDLICH SIND WIR GERETTET … WIR ALLE … LÖSCHT JETZT DIE LICHTER … TRAGT SIE NICHT IN DIE STADT ALLER STÄDTE … LASST DAS VERLIES IM DUNKELN, DAMIT NIEMAND UNS FINDET … NEHMT MONDSCHLUNDS GNADE AN …«
Der Anführer der Klippenritter riss sein Schwert in die Höhe. Erteilte einen Befehl!
Die Pfeile flogen dicht. Sie rissen die geisterhaften Wesen von den Füßen, schleuderten sie in die Gasse zurück, als wären ihre Körper leichter als Linnen. Dann stürmten die Ritter voran. Schwerter funkelten im Flammenschein. Streitkolben zischten durch die Luft. Die Menschen in der Gasse schrien nicht, klagten nicht. Lautlos sanken sie zu Boden. Schädel zerbarsten unter wuchtigen Hieben. Eine schimmernde Lache breitete sich unter ihnen aus und rann zwischen den Pflastersteinen die Gasse hinab. War es Blut? War es flüssiges Gold? Es glänzte so kostbar im Flammenschein … doch nur kurz. Dann sogen die Mauern der Gasse alles Licht auf. Die Schwärze wurde undurchdringlich. Und sie breitete sich aus, rasend schnell!
»Zurück! Bei Tathril, zurück!«
Der Ruf des Anführers kam zu spät. Jene, die sich zu weit vorgewagt hatten, wurden von dem Schatten erfasst. Ihre Schreie verstummten – nein, sie wandelten sich zu einem Flüstern, einem Kichern … ja, sie lachten, priesen lauthals ihr Glück. Schwerter glitten zu Boden, Helme wurde gegen Mauern geworfen, Rüstungen schepperten auf den Pflastersteinen. Doch was mit den Gefallenen geschah, blieb den anderen Rittern verborgen. Sie hörten nur ihre Stimmen, die heiteren Worte.
»Jetzt … sehen wir es … endlich sehen wir, wie schön sie ist … unsere Stadt … wie schön sie doch ist!«
»All die Menschen dort draußen … was wollen sie? Warum sind sie hier?«
Die Fenster des Turmsaals waren gerade groß genug, um den Kopf hinauszustrecken. Nur wenig Licht drang in den Raum; verhaltenes Mondlicht und Fackelschein. Er kam vom anderen Ufer des Stillen Sees. Dort hatten sich einige hundert Männer und Frauen versammelt. Sie wirkten friedlich. Gelegentlich schwoll der Chor ihrer Stimmen zu leisen Gesängen an.
»Sind sie wegen mir gekommen, Garalac? Vorhin glaubte ich, meinen Namen vernommen zu haben … psst … hörst du es? Rufen sie nicht: Akendor Thayrin?«
Aus dem hinteren Teil des Saals antwortete eine Stimme. Sie hatte einen troublinischen Akzent, weich und rollend. »Sie rufen den Namen des Kaisers. Euren Namen, Akendor.«
Akendor Thayrin spähte aus dem Turmfenster. Er war ein schmächtiger Mann, die Haare dunkelblond und licht, das Gesicht ausgezehrt. Das Glitzern seiner Augen war freudlos.
»So … bin ich denn der Kaiser, ja? Wenn auch du es sagst, Garalac, muss es wohl stimmen. Auch Binhipar behauptet es. Ist das nicht drollig? Er stürzt mich, er verschleppt mich, er setzt meinen Sohn auf den Thron … und plötzlich soll dies alles nicht mehr gelten.« Er beobachtete die Menschen am Ufer. Der Fackelschein ließ ihre Mienen fremd erscheinen, und das Wasser spiegelte ihre Umrisse nur undeutlich. Sieben Kanäle strömten im Stillen See zusammen. Mitten im Wasser lag die Eiserne Insel, und auf dieser stand Gendor, der Stammsitz der Familie Geneder.
»Warum sperrt mich Binhipar in diesen Turm?« wisperte Akendor. »Wenn ich Kaiser bin, warum ziehe ich dann nicht mit Prunk und Getöse in den Palast ein? Hat er mich angelogen, Garalac? Ist mein Sohn noch am Leben? Spielt mich dieser Schurke gegen ihn aus?«
Der Leibwächter trat aus dem Schatten. Rote Strähnen hingen in Garalacs Gesicht, und er kniff die wässrigen Augen zusammen, ein Zeichen innerer Anspannung. »Ihr solltet so nicht von ihm sprechen. Nicht, solange Ihr in seiner Gewalt seid. Binhipar ist
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