Splitternest
nicht aus dieser grässlichen Stadt fort und lassen geschehen, was immer geschehen muss?«
Stille herrschte im Turmsaal. Selbst die Rufe von draußen verstummten, als warteten die versammelten Menschen auf Binhipars Antwort.
Der Fürst wandte sich langsam um.
»Komm her, Garalac!«
Der Troublinier trat zögernd näher.
»Seht ihn Euch an, Akendor. Habt Ihr Euch je gefragt, warum dieser Mann Euch so treu zur Seite steht, in all den Jahren niemals verließ, auch dann nicht, als Ihr ihn fortjagtet? Warum er Euch aus der Zelle in Thax rettete und bei Euch blieb, ohne zu klagen?«
Akendor blickte Garalac scheu an.
Binhipar fuhr mit leiser Stimme fort. »Ich will Euch eine kleine Begebenheit von Eurem Vater erzählen. Als Kaiser Torsunt nach Troublinien reiste, um mit dem Gildenrat zu verhandeln – es muss zwei Jahre nach dem Umsturzversuch der Geneder gewesen sein –, wurde ihm von der Großgilde ein Geschenk gemacht: Am Stadttor von Taruba baumelten die Leichen von zehn Männern. Es waren troublinische Piraten, die jahrelang Jagd auf sitharische Schiffe gemacht hatten. Über Nacht hatte man sie in einer Kaschemme festgenommen und hingerichtet. So wollte der Rat dem Kaiser beweisen, wie ernst es ihm mit der Bekämpfung der Piratenplage war.« Binhipar lachte grimmig auf. »Da hingen sie … dieselben Schurken, die jahrelang dafür bezahlt worden waren, unsere Schiffe auszunehmen. Ihre Gönner hatten sie einfach am Stadttor aufgeknüpft. Und natürlich wusste der Kaiser, wer diese Kerle unterstützt hatte, er wusste auch, dass im Silbermeer Dutzende ihrer Kumpane weiter auf Kaperfahrt gingen. Es war eine Verhöhnung der kaiserlichen Macht! Seit dem Verrat der Geneder wähnte Troublinien Euren Vater schwach; die Gilde wartete nur auf eine Gelegenheit, um ihren Austritt aus dem Südbund zu verkünden. War es nicht so, Garalac?«
Der Troublinier senkte den Blick. Er murmelte etwas Unverständliches.
»Als Torsunt in Taruba einritt und die Piraten von den Zinnen baumeln sah, ließ er die Leichen herabholen. Nicht nur das, er schleifte den toten Anführer eigenhändig in den Rat, obwohl er schon stank und die Raben ihn übel zugerichtet hatten. Er legte den Kadaver mitten in den Ratssaal. Ohne ein Wort über den Vorfall zu verlieren, forderte er die Verlängerung des Suul-Vertrags, der Troublinien an das Kaiserreich band. Der Saal stank wie eine Leichenhalle, es war ein heißer Sommertag, und die Gesichter der Ratsleute wurden fahl. Manch einer würgte, auch ich, der den Kaiser damals begleitete; aber keiner traute sich, die Fenster zu öffnen oder um eine Vertagung zu bitten. Keiner wagte es, Torsunts Forderungen abzulehnen. Am Ende stimmte der Rat geschlossen für die Verlängerung des Vertrags. Als Euer Vater den Saal verließ, drehte er sich noch einmal auf dem Absatz um, und er sagte – ich werde die Worte nie vergessen: Und diesen Mann hier begrabt mit allen Ehren. Er ist seinen Herren bis zum Ende treu geblieben.«
»Wir harten es ihnen geschworen!« Garalac hatte mit finsterer Miene gelauscht. Doch nun platzten die Worte aus ihm hervor. »Jedes Jahr, wenn wir von unserer Kaperfahrt zurückkehrten, sprachen wir im Rat vor und lieferten die Beute ab. Man hat uns mit klingender Münze bezahlt, unseren Kampf für Troubliniens Freiheit gelobt und uns ewigen Schutz versprochen. Und wir schworen den Gildenmännern Treue, denn wir glaubten ihnen. Aber es waren Versprechungen von Krämern. Sie haben uns ausgemerzt wie krumme Zahlen auf einer ihrer Handelslisten!« Seine Augen schimmerten feuchter als sonst.
»Du warst einer dieser Piraten?« fragte Akendor erstaunt.
Sein Leibwächter nickte. »Der einzige, der fliehen konnte, als sie uns im Gasthaus eine Falle stellten. Ich hatte mich auf der Latrine versteckt, die Büttel übersahen mich. Aber die anderen waren wehrlos, trunken vom Wein … sie wurden in Ketten gelegt, darunter zwei meiner Brüder und mein Neffe, der Schiffsjunge. Bei Tathril, er war erst zehn Jahre alt … auch ihm haben sie den Strick umgelegt, am nächsten Morgen schon. Die Gilde wollte die Leichen von den Zinnen baumeln sehen. Sie sollten verwest sein, ehe der Kaiser durch das Stadttor ritt.« Garalacs Augen flackerten. »Als ich später von der Ratssitzung erfuhr, ließ ich Eurem Vater einen Brief überbringen. Ich schrieb ihm, wer ich bin, ich verriet ihm alles, was ich über die Piraten wusste. Er sollte Kenntnis darüber haben, welches doppelzüngige Spiel die Ratsleute getrieben hatten.
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