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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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herfielen. Aber der Leichnam ist nie gefunden worden.«
    Binhipars Hand fuhr zum Hals, an die rote, pochende Narbe. »Die Arphater halten ihn für tot. Aber ich traue dem Frieden nicht.« Unruhig schritt er im Saal auf und ab. »Kehrt Uliman zurück? Ich wünschte es! Dann reiße ich ihm die silberne Kette herunter, die letzte des Südbundes, und meine Hände schließen sich um seinen Hals, bis kein Funken Leben mehr in ihm ist!« Seine Finger zitterten, als würgten sie bereits Ulimans Kehle. »Es wird viel Blut vergossen werden, bis das Erbe der Gründer gerettet ist. Uliman hat noch immer einige Anhänger, die in den Straßen herumstreunen und auf seine Rückkehr hoffen. Die Weißstirne verhalten sich ruhig, aber ich fürchte, dass sie sich erheben werden, falls ihr Auserkorener Nhordukael zurückkehren sollte. Und auch die Goldéi sind nicht fern … Bevor ihr Heer unsere Mauern erreicht, muss Vara geeint sein.«
    »Vergiß nicht die Arphaterin«, fügte Darna hinzu, »und das, was in ihrem Bauch heranwächst. Wenn Inthara das Kind bekommt – und das kann jede Stunde geschehen –, werden sich die Menschen ihr in Scharen zuwenden. Eine Geburt verspricht Hoffnung …«
    »Ich habe sie nicht vergessen. Sie sitzt im Palast mit ihren Priesterhorden, scheint weder die Schatten noch mich zu fürchten und wartet auf ihre Wehen.« Binhipar knirschte mit den Zähnen. »Ulimans Kind, so heißt es … dass ich nicht lache! Wen immer sich diese Hure in ihr Bett geholt hat, es war gewiss kein zwölfjähriger Knabe! Aber die Menschen sind verängstigt, sie werden alles glauben, was man ihnen auftischt.« Er knöpfte sich den Mantel zu. »Ich werde mich darum kümmern. Immerhin weiß ich, wie man ungesehen in den Palast kommt. Diese Nacht will ich noch verstreichen lassen … aber schon morgen, wenn der Mond erneut aufgeht und die Schatten umherschleichen, werden die Arphater einen Grund zum Trauern haben.«
    Seine Frau nickte mit versteinerter Miene. »Je eher, desto besser. Du allein kannst verhindern, dass in Vara Tumult ausbricht. Denn du bist der letzte der Fürsten, der noch bei Verstand ist … der letzte Angehörige des Silbernen Kreises.«
    Binhipar stellte sich ins Fenster, blickte hinaus in die Nacht. »Zehn Ketten«, murmelte er. »Zehn Fürsten. Zehn Namen, die uns binden.«
    Vor dem Turm brach ein Jubel los; ein Aufschrei aus vielen hundert Kehlen, die einen Namen skandierten – »Akendor Thayrin! Akendor Thayrin!« –, während Binhipar die Hand seiner Frau nahm und sie küsste, voller Entschlossenheit und mit düsterem Herzen.
     
    Stille! Schweigen! Der Palast ruhte in sich wie eine schlafende Schlange, seine lang gezogenen Gebäude aus Marmor, verbunden durch Altanen und Treppenfluchten, schmiegten sich an den Hügel hinter dem Gorjinischen Kanal. Und wie ein Schlangenleib bebten die Mauern, so als atmete der Palast im Schlaf, als holte er Luft, um bald zu erwachen.
    Der Mond stand hoch über Vara, seine Strahlen funkelten auf den gläsernen Flächen, die den Palast wie eingeschobene Spiegel zerschnitten. Sie narrten das Auge … starrte man zu lange auf sie, ließ der Anblick einen schwindeln. Und wenn der Mond von einer Wolke verdeckt wurde, wenn seine silbrigen Strahlen für einen Augenblick erloschen, zerrte das Glas an den Steinen, stellte sich schräg und ließ das Mauerwerk ächzen. Etwas Fremdes schälte sich aus dem Untergrund. Es wollte den Palast zerstören, in dem einst so mächtige Kaiser residiert hatten: Are Aldra, der erste Herrscher Sithars, den der Silberne Kreis aus seiner Mitte erwählt hatte; Tira Aldra, seine Tochter, die sich in die Ränke der Bathaquari verstrickt und dafür mit dem Leben bezahlt hatte; Binhor Nihirdi, der Schweigsame; Hamir Lomis und Sadir Suant, die Kaiser des Übergangs; Ewaron Turr und seine Söhne Ewin und Turic, die Letzten ihres Geschlechts; Akrin Thayrin und Torsunt der Große. Torsunt war der letzte Kaiser gewesen, der in Vara geherrscht hatte; sein Sohn Akendor hatte sich kurz nach seiner Krönung nach Thax verkrochen, auf Geheiß des Thronrats. Der Palast hatte seitdem leergestanden und das Volk fast vergessen, wer einst in den Mauern gelebt hatte.
    Nun, da die Stadt sich verwandelt hatte, da Varas Gebäude durch Mauern und Türme aus Glas verdrängt wurden, da die Straßen seltsamen Wegen wichen, die sich durch kühne Häuserschluchten wanden, dachte manch ein Bewohner mit Wehmut an die Kaiser zurück. Nun wisperte man wieder ihre Namen, erzählte von

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