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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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ihren Taten, pries ihre Herrschaft. Waren sie nicht die Erben der Gründer gewesen? Waren sie nicht von Tathril erwählt worden, Vara zu schützen? Vergessen waren ihre Prunksucht, ihre Streitereien mit der Bürgerschaft. Überall in der Stadt wartete man auf ein Zeichen des Silbernen Kreises … oder auf den Ruf eines Kaisers, wer immer dieser auch sein mochte.
    »Uliman kehrt zurück«, sagten die einen, während sie sich in ihren Häusern versteckten, aus Furcht vor den Schatten, die durch die Gassen huschten. »Auch wenn er nur ein Kind ist – er wird uns retten! Er wird die Schatten zerfetzen, so wie er es am Silbernen Dom mit den Weißstirnen getan hat.«
    »Nein«, widersprachen andere. »Uliman ist tot. Aber sein Vater ist bei uns … Akendor Thayrin lebt, und er ist nicht so schwach, wie es hieß. Er wird uns in den Kampf führen, schon bald … an einem neuen Morgen.«
    »Dieser Nacht folgt kein Morgen«, orakelten andere. »Wir sind in der Stadt gefangen, bis die Stunde von Baniter Geneder schlägt, dem einzigen, wahren Fürsten. Er wird die Stadt retten. Wir müssen ihm treu bleiben. Wir hätten ihm immer treu bleiben müssen, auch seinem Großvater …«
    »Seid ihr irre?« schrien die letzten. »Uliman, Akendor, Baniter … sie sind alle tot, tot wie die anderen Fürsten! Nur Ulimans Weib ist noch am Leben! Inthara von Arphat trägt den Erben der Gründer in sich, Ulimans Kind! Wird es geboren, dürfen wir wieder hoffen!«
     
    Der Palast verharrte in seinem Schlummer. Doch die Stille täuschte. Schatten huschten um den Hügel. Aus Innenhöfen, verlassenen Gärten und Steinkorridoren schwand alles Licht. Schwärze schälte sich aus den Steinen. Das Verlies sandte sein Gefolge aus, um den Mond zu begrüßen.
    Ein Wimmern hallte durch die Gänge: das Klagen einer Frau. Es brach jäh ab und wurde von einem erschöpften Keuchen abgelöst.
    Im großen Saal des Westflügels – er war durch den Ansturm der Schatten kaum beschädigt worden – lag auf einem Seidenkissen Inthara, Arphats Königin. Ihr offenes Haar floss wie Samt um ihre Wangen. Sie glühten wie im Fieber, ihre Augen waren matt. Und doch war die junge Königin schön wie nie zuvor. Die Priester hatten ihr ein loses Hemd umgelegt, weißes Tuch, durchwirkt mit Purpurfäden: das Kleid der Raquai, Göttin der Geburt und der Wiederkehr. Unter den Brüsten war es geschlitzt, so dass der Bauch der Hochschwangeren freilag. Er schimmerte im Mondlicht, das durch die Fenster in den Saal schien; die straffe, olivfarbene Haut glänzte. Um den Bauchnabel war mit weißer Tusche das Zeichen der Raquai aufgemalt: ein Kreis und ein aufsteigender Strahl, der über die Rundung des Bauchs bis zum Brustansatz führte.
    »Die Götter blicken auf Euch, Herrin.« Eine Raquai-Priesterin stand neben dem Lager, ihre Hände noch weiß von der Tusche. »Raquai ruft Euer Kind aus der Finsternis. Der wiedergeborene Sonnengott steigt aus den Tälern, in denen er am Abend schlief. Ein neuer Morgen. Ein neues Zeitalter. Ihr schenkt Agihor Leben. Durch Euch wird das Licht der Sonne entfacht.«
    »Das lasst uns hoffen«, murmelte neben ihr der Große Ejo, Anführer der Anub-Ejan. Der grimmige Schechim umringte mit seinem Gefolge das Lager; sie bildeten einen Kreis um die Königin. An ihren Gewändern hefteten weiße Bänder; sie sollten der werdenden Mutter Glück bringen. »Denn seit wann wird der Sonnengott in finsterer Nacht geboren? Dies ist ein schlechtes Zeichen!«
    Inthara starrte erschöpft zur Decke auf. Ihr Atem ging flach. »Es ist Agihors Wille. Er führte mich in diese Stadt, er wählte diese Nacht für die Geburt seines Kindes.«
    Ejos Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sein Kind ist das Kind eines Luchses! Es wird sich mit scharfen Krallen aus Eurem Leib graben.«
    Inthara ließ sich nicht beirren. »Das Kind eines Luchses, ja … und Ihr solltet diesen Luchs finden, Ejo! Ihr solltet Baniter Geneder aufspüren … doch Ihr habt ja schon Uliman nicht entdecken können.«
    »Der Junge ist tot«, schnaubte der Schechim. »Und Baniter? Wer weiß, wohin diese Schlange Sinustre ihn verschleppt hat! Vergesst ihn, Herrin! Der Luchs ist es nicht wert!«
    Sie wollte etwas erwidern, doch die Schmerzen raubten ihr alle Kraft. Ihr schlanker Leib zitterte.
    »Genug«, mahnte die Raquai-Priesterin. »Sie braucht ihren Atem für die Wehen!«
    »Findet ihn!« Inthara stieß die Worte hervor wie einen Schrei. Ihr praller Bauch schimmerte im Mondlicht. »Findet ihn, Ejo, und kommt

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