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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Varas quoll Schlamm, um auch die anderen Stadtviertel zu überschwemmen. Die Hauptstadt Sithars starb einen langsamen Tod … oder waren es die Geburtswehen eines kommenden Zeitalters, die blutige Entstehung einer neuen Stadt?
    Die Klippenritter hatten das Ende der Treppe erreicht. Dort hatten sich einige Menschen versammelt; sie wichen zur Seite, ließen die Fliehenden hindurch. Keiner versuchte die Ritter aufzuhalten, rannten diese doch eh in den Tod.
    Die meisten der Versammelten waren Troublinier; Kaufleute und Gildenkrieger in roten Mänteln. Uliman Thayrin hatte sie erst vor wenigen Wochen nach Vara geholt, um sich gegen seine Gegner zu wappnen. Doch auch zahlreiche Varoner hatten sich eingefunden; ganze Familien mit geschnürten Bündeln und Taschen. Kinder weinten, Mütter versuchten sie mit ihren Händen vor dem Regen zu schützen. Auch Stadtgardisten mit Speeren und Schwertern waren in der Menge, und zerlumpte Staker mit Bootsstangen, die ihre Habseligkeiten in Säcke gewickelt hatten. Sie alle sahen zum Nachthimmel auf, zum Mond, der schwach hinter den Glastürmen leuchtete.
    Nun stieß ein Schatten zwischen den Häuserzeilen hervor … ein schwarzer Schwan. Mit schwerfälligen Flügelschlägen kämpfte er sich durch den Regen, kreiste über dem Marktplatz. Er landete auf der Treppe des Badhauses und streckte den Hals. In seinem Gefieder glänzte eine silberne Kette.
    Im Badhaus heulten die Hunde auf. Sie witterten die Nähe des Schwans.
    Aus der Menge löste sich eine Frau und wankte zur Treppe. Sie trug ein dunkelrotes Kleid; es lag eng an ihrem Körper an. Schwarze Federn steckten in unzähligen Ösen, und einige auch in ihrem aufgesteckten Haar.
    Sinustre Cascodi, die einst so bewunderte und gefürchtete Gastgeberin in der Halle der Bittersüßen Stunden, sank neben dem Schwan auf die Treppe. Ihre Bewegungen hatten alle Eleganz eingebüßt. Der Regen hatte die Schminke aus ihrem Gesicht gewaschen, die tiefen Falten auf den Wangen traten deutlich hervor.
    Der Schwan betrachtete sie aus gläsernen Augen. Sinustre drehte sich langsam zur Menge um. In ihrem offenen Mund glänzte der Stummel einer herausgerissenen Zunge. Er zitterte, als die Regentropfen ihn benetzten.
    »Ihr seid … mir treu geblieben!« stieß sie heiser hervor. Trotz der verstümmelten Zunge war jedes Wort, das aus ihrem Mund drang, deutlich zu verstehen. »Dem Kaiser Sithars … seid ihr treu geblieben!«
    Der Schwan fauchte. Ein Tuscheln ging durch die Menge.
    »Ich bin … zurückgekehrt … Uliman Thayrin … euer Kaiser … das Kind auf dem Thron. Denn noch bin ich euer Herrscher … der Erbe der Gründer … und diese Stadt ist verloren, an Mondschlund und sein Verlies! Vara geht zugrunde. Aber nicht ihr … ihr sollt belohnt werden … für eure Treue! Ich bringe euch fort von hier …«
    Sie zupfte eine der Schwanenfedern aus dem Haar. Der Kiel glänzte dunkel, als sie ihn über ihre Stirn zog. Blut rann an den Nasenflügeln entlang.
    »Der Weltenwanderer … hat uns betrogen … doch Uliman rächt uns … ihr bekommt, was euch zusteht … eine Welt ohne Furcht … einen Herrscher, der die Menschen liebt, nicht verachtet … der die Sphäre unterwirft, nicht bloß zähmt! Sternengänger stirbt … und alle, die ihm folgen.«
    Der Schwan breitete die Flügel aus. Federn lösten sich aus den Schwingen und wurden vom Regen die Treppe hinabgespült.
    »Wer mir nicht dient … der geht unter … doch wer an mich glaubt … und an die Macht der Magie … an den Willen der Zauberer … dem wird die neue Welt gehören!«
    Sinustre ließ die Hand sinken. Auf ihrer Stirn prangte ein Zeichen: eine Rose, eingeritzt in das Fleisch. Wie Blütenblätter fielen kleine Blutstropfen herab.
    »Die Rose von Athyr’Tyran, verblüht und vergessen … zertrampelt von Mondschlund und Sternengänger … deshalb mussten wir Menschen leiden … aber nicht länger, keinen einzigen Tag mehr! Wir verlassen die Enge dieser Straßen … wir gehen fort … holen uns zurück, was Sternengänger uns entriss … und wer nicht mein Zeichen auf der Stirn trägt, der muss den Hauch von Nekon schmecken … der wird mit Gharax untergehen!«
    Die Menschen drängten zur Treppe und lasen die Federn auf. Jeder versuchte eine zu erhaschen, sie rissen sie sich gegenseitig aus den Händen, trunken vor Wahn.
    »Der Rosenstock … trägt keine Blüten mehr … und Mondschlund schweigt … noch herrscht der Tag … doch bald sinkt Finsternis in unsere Sinne … und hüllt in

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