Splitternest
Eindringling entgegen. Ihre Hände schlugen nach seinem Gesicht, wollten es ihm zerkratzen.
»ER IST NOCH BLIND … ER HAT SEINE AUGEN NICHT GEÖFFNET … ER SIEHT NICHT MONDSCHLUNDS GÜTE! SCHÜTZT EUCH, HERRIN.«
Der Mann würdigte sie keines Blickes. Mit einem einzigen Fausthieb streckte er die Priesterin nieder; ein so kräftiger, mitleidsloser Schlag, dass ihr Körper gegen die Wand geschleudert wurde. Ihr Kopf prallte mit einem dumpfen Geräusch auf. Sie brachte keinen Laut mehr hervor.
Inthara entglitt das Kästchen. Es fiel scheppernd zu Boden. Die schwarzen Brocken kullerten über die Steinplatten.
»Das kann nicht sein!« Ihre Stimme war ein Flüstern. »Binhipar Nihirdi. Der Fürst von Palidon!«
Er schritt langsam, ganz langsam auf sie zu; seine Augen so dunkel wie die Nacht.
»Es kann nicht sein!« schrie sie. »Du bist tot! Alle Fürsten sind tot! Uliman hat euch umgebracht, alle außer …«
»Außer Baniter Geneder und mich.« Seine Stiefel knallten auf den Steinen, der Dolch in seiner Hand zitterte. »Und hier komme ich, du Dirne, um ein für alle Mal ein Ende mit dem arphatischen Gesindel zu machen.« Er trat das leere Kästchen beiseite. »Ich habe nichts vergessen, Inthara – nicht die Kriege, die Arphat entfesselt hat, nicht den Hass und die Überheblichkeit, mit der ihr unser Land heimgesucht habt, ein ums andere Mal. Ich habe nicht vergessen, wie Torsunt in meinen Armen starb, einen eurer vergifteten Pfeile im Leib. Arphats Gift und Arphats Lügen!« Speichel sprühte auf seinen Bart. »Hätte der Silberne Kreis auf mich gehört, wärst du niemals hergekommen. Aber Baniter, dieser Schurke … er hat dich nach Vara gelockt! Er wollte dich mit Akendor vermählen, er ist schuld daran, dass wir dich Uliman zur Frau geben mussten. Eine arphatische Hure auf dem Kaiserthron! Es konnte nur ein Unglück daraus entstehen, so wie die Ahnen es sagten.« Binhipar warf einen verächtlichen Blick auf die reglose Raquai-Priesterin. »Du hast dich mit diesen Kreaturen verbündet, die über Vara herfallen. Sie quäken deinen Namen, während sie Varas Bürger erschlagen. Und die Schatten beherrschen die Nacht, verdunkeln den Himmel, verschlingen den Mond. Welchen Dämonen dienst du, Inthara? Welchem Irrsinn willst du uns ausliefern?«
Sie wich nicht zurück, blickte Binhipar voller Stolz an. »Wie redest du mit mir, Krämerfürst? Willst du mich für den Niedergang dieser Welt verantwortlich machen? Du bist dreimal so alt wie ich, und doch hast du in all den Jahren nichts unternommen, um den Raub der Quellen zu beenden, um Gharax zu retten. Was für ein feiger Wurm bist du nur! Du hast es zugelassen, dass die Goldéi in unsere Welt gelangten. Und als Uliman die anderen Fürsten ermordete, bist du schluchzend fortgekrochen, anstatt ihnen zu helfen.«
Binhipar lief dunkelrot an. »Du warst nicht dort, als es geschah. Du hast nicht gesehen, wie sie sich auf dem Boden krümmten, wie die Ketten um unsere Hälse …« Seine Hand fuhr zur eigenen Kehle. »Es war der Wille der Ahnen, dass ich entkam – durch den Gang, den Torsunt mir einst zeigte, als er vor Norgon Geneders Häschern floh. Diesen Gang habe ich nun zum dritten Mal durchkrochen, um dich zu strafen; um dir den Balg aus dem Leib zu schneiden, den alle für Ulimans Kind halten.« Seine Augen wanderten an ihr herab, ruhten kurz auf ihrem Bauch. Sie trug nur ein dünnes Kleid aus Seide; ihre schweren Brüste schimmerten unter dem Stoff. »Aber ich komme wohl zu spät.«
Vom Fenster drang leises Weinen. Das Kind war erwacht. Es streckte die Arme aus, räkelte sich auf dem Lager. Seine Stimme klang so hell und dünn, dass sie sich fast im Saal verlor.
Binhipar drehte sich um. Er presste die Lippen aufeinander.
»Nein! Das darfst du nicht.« Inthara senkte die Stimme. »Binhipar, du hast vor vielen Jahren selbst ein Neugeborenes in den Armen gehalten, einen Sohn, den dein Weib dir geschenkt hat … so unschuldig wie dieses. Du darfst nicht …«
»Mein Sohn ist tot.« Eine gefährliche Ruhe lag in Binhipars Worten. »Wer ist der Vater dieses Kindes?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war totenbleich.
Binhipar hob den Dolch. »Ich frage dich ein letztes Mal, Inthara … wenn es leben soll, antworte mir. Wer ist der Vater?«
Sie senkte den Blick, schlang wie im Schmerz die Arme um ihren Bauch. »Du kennst ihn. Er ist ein Krämerfürst wie du … ein Mitglied des Silbernen Kreises.«
Das Kind auf dem Bett strampelt die Seidendecke fort. Sein
Weitere Kostenlose Bücher