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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Weinen klang kläglich.
    »Baniter Geneder.« Binhipars Augen verdüsterten sich. »Ich wusste es, vom ersten Tag an.«
    Er wollte auf das Fenster zugehen. Doch in diesem Augenblick schnellte Inthara nach vorn. Ihre schwarzen Haare wirbelten auf, dann ihre Fäuste, das Messer in ihrer Hand … sie hatte es unter dem Kleid hervorgerissen. Mit einem Schrei stieß sie es Binhipar in die Brust. Es durchdrang sein ledernes Hemd.
    Binhipar keuchte. Er stieß die Königin zurück. Sein Dolch fuhr empor. Die Klinge so scharf. So schnell.
    Intharas Gesicht verzerrte sich; schmerzlich schön, ihre Augen erfüllt von dem brennenden Verlangen, zu leben, zu atmen. Ihre Hände fuhren zum Hals.
    Binhipars Klinge hatte ihre Kehle geöffnet. Die Wunde klaffte breit. Ein Kranz dicker Blutstropfen bildete sich an den Rändern. Mit jedem Atemzug warfen sie Bläschen, und diese lösten sich, spritzen auf ihr Kleid. Sie wankte.
    Der Fürst ließ den Dolch fallen. Er tastete nach dem Messer in seiner Brust. Mit einem Ruck riss er heraus. Blut glänzte an der Klinge.
    »Nicht … tief genug«, röchelte er. »Nun … geht Arphats Sonne unter.«
    Sie brach auf dem Boden zusammen. Ihre Lippen bildeten Worte, doch diese blieben stumm, nur ihr Atem war zu hören, der schneller und schwächer wurde. Tränen schimmerten in ihren Augen. Sie blickte unverwandt auf Binhipar.
    Der Fürst wandte sich ab. Seine linke Hand presste die Wunde auf der Brust zu. So schleppte er sich zum Fenster. Die Schnallen seiner Stiefel klirrten bei jedem Schritt.
    Das Kind schrie nach seiner Mutter. Die kleinen Fäuste schlugen um sich. Sie warfen im Kerzenschein Schatten an die Wände.
    Intharas Atem verebbte, als hätte sich Watte auf ihren blutenden Mund gelegt.
    Binhipar blieb vor dem Bett stehen. »Baniters … Kind«, murmelte er. »Ein weiterer … kleiner Luchs … mit scharfen Krallen …«
    Er betrachtete seine Hände, rau und blutig, die Nägel zerbrochen. Seine Lippen bebten. Er schloss die Augen. In seinen Ohren rauschte das Blut, so laut, dass er das Weinen des Kindes nicht mehr hören könnte.
    Dann kehrte Stille im Palast ein. Nur der Regen trommelte auf den Dächern, auf dem steinernen Fenstersims. Es war eine friedliche Nacht.
     
    Die Toteninsel im See Bredayn war alt. Schon Varas Erbauer hatten hier ihre Angehörigen beigesetzt. Über den Gräbern erhoben sich Hügel, jeder ein Schritt hoch, bewachsen mit Gräsern und Moos. Die ältesten waren über die Jahrhunderte in sich zusammengesunken und kaum als Gräber zu erkennen. Die jüngsten aber stammten aus den vergangenen Wochen, als die Schlacht zwischen Ulimans Anhängern und den Arphatern getobt hatte … aufgeschüttete, verklumpte Erde, darin eingesunken die rostigen Schwerter der kaiserlichen Garde. Denn nur die treuesten Kämpfer wurden auf der Insel beigesetzt – und die Angehörigen der Kaiserfamilie. Die Kaiser selbst jedoch ruhten an anderen Orten, in den Grüften ihrer Fürstentümer, fern von Vara.
    Die Bäume rauschten im Wind. Sie ragten hoch auf, ihr Baumdach war dicht und ließ kaum Licht und Regen hindurch. Herabfallende Blätter taumelten umher, betteten sich auf den Grabhügel zur letzten Ruhe. Ein regenschwerer, modriger Geruch hing über der Insel. Zwischen den Zweigen schimmerte das Wasser des Sees.
    Akendor Thayrin stolperte über den Pfad. Regen tropfte aus seinem Haar und von seinem Gesicht. Er hatte die Schuhe abgestreift. Mit bloßen Füßen schritt er über die feuchte Erde. Er murmelte vor sich hin.
    »Ein Frühlingstag … es war mild, die Sonne schien fröhlich vom Himmel … im Palastgarten, zwischen blühenden Hecken, da habe ich dich gesehen, Syllana … kurz, nur kurz … und sehe dich noch immer jede Nacht, als wäre es gestern gewesen.«
    Vor ihm lag der Grabhügel. Er war bedeckt mit Moos und Zweigen, kaum zu erkennen in der Dunkelheit. Wilde Sträucher umschirmten ihn. Ein faustgroßer Stein mit goldener Inschrift steckte im Moos. Akendor zog ihn hervor, säuberte die Lettern mit dem Ärmel.
    »Syllana Nejori«, las er leise. Sein Gesicht verzog sich vor Enttäuschung. »Sie haben die Inschrift geändert! Du warst eine Thayrin, Geliebte … ich habe dich dazu gemacht.«
    Er sank auf die Knie und stellte den Stein neben sich ab. »Ein Frühlingstag … ich fragte dich nach deinem Namen, und du lächeltest, dein Gesicht so weiß unter den blonden Locken … ein Mädchen warst du, deine Brüste kaum erblüht … und ich nur wenige Jahre älter. So jung, so

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