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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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anzusehen, Tundia.«
    »Nein«, stieß Tundia Suant hervor. Sie beugte sich zu Akendor herab, packte sein Haar. »Du verdienst es nicht, Akendor.« Sie drückte seinen Kopf in das Gras. »Ich begrub Suena an der Küste in Palgura, unter grauen Steinen. Sie blickt nun hinaus auf das Meer und wartet, dass ich ihren Mörder finde. Vielleicht haben die Wellen ihr Grab längst verschlungen, nun, da die Quellen erwacht sind. Aber du lebst noch immer, Akendor.«
    Ihre Hand zitterte, als sie ihm die feuchten Erdbrocken in den Mund stopfte. Er würgte, hustete, aber er wehrte sich nicht. Tundias Griff wurde gröber, sie schluchzte, während sie mit allen Fingern nasse Erde, modriges Laub und Moos in seinen Rachen drückte, sein Gesicht in das Erdreich presste, immer tiefer, immer fester. Akendors Körper zuckte. Er krallte sich mit der Hand an einem Grasbüschel fest.
    »Stirb endlich«, flüsterte Tundia Suant, »und mit dir alles, was Suena das Leben kostete … der Silberne Kreis. Der Südbund. Das Kaiserreich.«
    Es klang wie eine Bitte.
     
    So starb Akendor Thayrin, der letzte Kaiser von Sithar. Niemand begrub ihn, niemand schüttete einen Erdhügel über ihm auf und betrauerte seinen Tod. Er starb, wie er gelebt hatte, unglücklich und einsam. Er war der letzte Mensch, der auf der Insel im See Bredayn Ruhe fand.
     
    Sie versteckten sich in einer Gasse. Diese war abschüssig, die Mauern bildeten einen spitzen Winkel, in dem sich der Regen sammelte. Sie waren zu sechst; vier Klippenritter, ein Flammenhüter und ein troublinischer Gildenkrieger. Die Schwerter hingen schlaff in ihren Händen. Sie standen bis zu den Knien im Wasser. Der Flammenhüter leuchtete mit seiner Laterne, doch die Flamme brannte schwach.
    »Das Öl ist fast aufgebraucht.« Der Mann flüsterte nur. Aus seinen Augen sprach das Grauen.
    Der Troublinier zitterte am ganzen Leib. »Wir hätten nicht in diese Sackgasse fliehen sollen!« Sein roter Mantel war völlig durchnässt. »Wenn sie jetzt kommen … wenn sie uns hier finden …«
    Einer der Klippenritter zerrte ihn zurück. »Sei still, du Narr! Sie waren uns dicht auf den Fersen! Kein Wort mehr!«
    Sie starrten zur Mündung der Gasse. Die Laterne flackerte, das bläuliche Feuer nahm eine dunkle Färbung an. Regenschleier tanzten in der Luft. Ein Mondstrahl wanderte über sie wie über ein feines Tuch. Doch jäh erlosch sein Glanz. Denn eine Wolke aus Schwärze waberte zwischen den Mauern und schob sich in die Gasse. Goldene Augen glommen in der Finsternis auf.
    »DORT SEID IHR … WAS VERSTECKT IHR EUCH VOR MONDSCHLUNDS KINDERN? … HABT KEINE FURCHT … ÖFFNET DIE AUGEN!«
    Der Flammenhüter hob die Laterne. Ihr schwacher Lichtkegel umgab die sechs Männer. Gebannt starrten sie auf den Schatten, der auf sie zufloss.
    »FÜR DIE STADT ALLER STÄDTE … FÜR BANITER GENEDER UND SEINE GEMAHLIN …«
    Die Klippenritter hoben ihre Schwerter. Sie wechselten kurze Blicke.
    »Wir haben Binhipar geglaubt«, sagte einer von ihnen verbittert. »Wir haben für ihn gekämpft und für Kaiser Akendor, wie er es befahl. Das haben wir nun davon! Einen elenden Tod in einer elenden Gasse.«
    Es war ein Abschiedswort. Sie alle wussten, was nun folgen würde. Sie hatten es oft genug mitangesehen in den vergangenen Stunden; am Stillen See waren so viele den Schatten zum Opfer gefallen … auf den Lippen den Namen eines Kaisers, an den sie nicht glaubten, in ihren Herzen keine Hoffnung mehr. Sie hatten alles gegeben, bis zur letzten Stunde.
    »KOMMT … SCHLIESST EUCH MONDSCHLUND AN … SO WIE WIR … ÖFFNET DIE AUGEN … UND SEHT!«
    Die Schwärze staute sich wie zähe Masse, umspielte den Lichtkegel, tastete ihn vorsichtig ab. Die Flamme der Laterne flackerte. Sie drohte zu erlöschen, um dann noch einmal heller zu erstrahlen – ein verlorenes Licht in der Dunkelheit.
    Dann aber verformte sich der Schatten. Er bog und wölbte sich, als litte er Qualen. Faltete sich wie schwarzes Papier. Die Schwärze wurde flüssig. Sie zerrann in der Gasse wie eine Wassersäule, deren Quelle plötzlich versiegt war.
    Fassungslos blickten die Männer in die Gasse. Dort standen die Geister des Verlieses mit ihren toten Augen. Zu ihren Füßen schrumpften die Schatten, krochen zurück in die Steine, huschten in die Tiefe, als zwänge sie ein geheimnisvoller Zauber zur Flucht.
    »MONDSCHLUND …«
    Einer der Geister – troublinische Kleider, troublinisches Haar – kniete sich auf die regennassen Steine. Er griff nach den Schatten,

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