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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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zurücksehnen. Kathyga aber lebt, wir tragen es in unseren Herzen. Wir werden ein neues Kathyga errichten und frei sein; und ich bleibe euer König, jetzt und immer.«
    »Jetzt und immer!« Sie wiederholten seine Worte. Noch spürten sie auf der Haut den kalten Nebel, den sie durchschritten hatten. Sie dachten an das Kind, das sie angeführt und am Ende doch im Stich gelassen hatte. Was blieb ihnen noch außer dem Glauben an den König, der ihnen einen Neuanfang versprach?
    »Jetzt und immer!« schrie Eshandrom, damit auch der letzte ihn hören konnte. Sein Gesicht war gerötet. Er wischte sich die Schlammspritzer von der Stirn.
    Die Sonne brach durch die Nebelschwaden. Sie erstrahlte auch hier, auf Sternengängers neuem Kontinent, und tauchte den König in gleißendes Licht. Ringsum schillerte das Wasser in vielen Pfützen, und sofort wirkte das Land freundlicher.
    »Jetzt und immer!«
    Die Hoffnung kehrte zurück. Bald klang der gemeinsame Ruf der Kathyger nicht mehr verzagt; sie jubelten Eshandrom zu, setzten ihre Bündel ab, priesen die Sonne. Die Erinnerung an Gharax begann zu verblassen.
    Müde schnallte der König die Schwertscheide von seinem Bündel, zog langsam die Klinge hervor. Es war ein schlichtes Schwert, der Griff schmucklos. Er betrachtete es lange.
    »Was bin ich nun – ein Lügner?« Er sprach die Worte leise, nur zu sich. »Ich verspreche ihnen alles und kann nichts davon halten. Kathyga ist verloren; das Einende Schwert gab ich Narr aus der Hand, und mein Volk führte ich ins Verderben.« Enttäuscht schüttelte er den Kopf. »Wie kann ich etwas errichten, an das ich selbst nicht glaube? Man hat mich betrogen. Man hat uns alle betrogen.«
    In diesem Augenblick hörte er ein Geräusch aus der Ferne; den Klang einer Leier. Eine zweite stimmte ein; sie spielten zusammen eine schräge Melodie. Der Nebel verzerrte die Töne, so dass sie wie eine fremde Sprache wirkten.
    Eshandrom erblasste. Er kannte diese Klänge! Es waren Brashii, gyranische Drehleiern, gespielt von Igrydes … den gnadenlosen Kriegern aus Gyr. Er hatte sie oft genug an der Grenze vernommen, wenn Tarnac der Grausame wieder einmal mit Krieg gedroht hatte, wenn er den Nachbarreichen seine Stärke hatte beweisen wollen.
    Nun wusste Eshandrom, wer die Schiffe auf das Land gesteuert hatte. Seine Hand schloss sich um den Schwertgriff.
    »Ich habe mein Volk nicht all die Jahre aus dem Krieg herausgehalten, um es in einer sinnlosen Schlacht zu verlieren«, stieß er hervor. Er gab den Wartenden ein Zeichen, befahl ihnen, die Schwerter zu zücken. »Willst du unseren Tod, Laghanos? Hast du uns deshalb allein gelassen? Dann soll es so sein! Wenn die Gyraner uns angreifen, werden wir kämpfen, bis zum letzten Atemzug!«
    Die Menschen drängten sich zusammen. Die Bewaffneten stellten sich schützend vor die Frauen und Kinder. Das Jammern der Brashii wurde lauter, vielstimmiger; es kam nun von allen Seiten, näherte sich.
    Eshandrom stand verloren vor den zerborstenen Schiffen. Die Klinge in seiner Hand war verschmutzt, der verkrustete Fellmantel hing elend an seinem Leib herab. Er sah nicht länger aus wie ein König, sondern wie ein Betrogener; betrogen von dem Kind, das ihn aus Kathyga fortgelockt hatte.
     
    Zwei Felsenkämme, aufeinander zustrebend, durchbrochen von einer Lücke, die kaum dreißig Schritt breit war: Venetors Schere. Seit jeher umschloss sie das Haff, den Hafen, die berühmten Stege und Pfahlbauten der Stadt … zwei Felsarme, die Venetor vor dem stürmischen Meer schützten.
    Tarnac von Gyr stand auf dem höchsten Punkt der Schere, dem Gipfel des rechten Felsenkamms. Er war ein magerer, älterer Mann, nicht groß, der Kopf kahlrasiert, der Kiefer auffallend kräftig. Er trug kein Zeichen königlicher Würde; seine schlichte graue Robe flatterte im Wind, und um die Füße hatte er alte Lederriemen gewickelt. Die Arme waren erhoben. Er vollführte eine ruhige Geste, winkelte eines der dürren Beine an, reckte den Hals, atmete ein und wieder aus – und begrüßte so den Sturm, der über dem Silbermeer tobte. Wütend brandeten die Wellen gegen die Felsen der Schere. Sie wollten das Haff erobern, die Stadt überschwemmen. Aber das würde ihnen nicht gelingen. Denn hier, an der Steinküste, endete die Macht der Sphäre.
    Dunkle Wolken am Horizont. Sturmgepeitschte See. In der Ferne zuckten Blitze; ihr Licht jagte über die Wellen, als hätte die Gischt sich entzündet. Turmhohe Wellen klatschten aneinander, sogen den Atem des

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