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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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aufgegeben, unsere Städte, unseren Reichtum … aber wir leben! Gharax liegt hinter uns; wir blicken nicht zurück, sondern mit Hoffnung in die Zukunft. Ihr solltet dankbar sein.«
    Aber sie waren nicht dankbar, nur voller Zorn, auch wenn dieser Zorn nicht dem König galt. Eshandrom hatte sein Bestes gegeben, das wussten sie alle. Er hatte Kathyga viele Kalender lang aus dem Krieg herausgehalten und vor der Verwüstung bewahrt. Auch die Entfesselung der Quellen hatte in Kathyga nur wenige Menschenleben gekostet. Eshandrom hatte früh damit begonnen, ganze Dörfer umzusiedeln und die Menschen in Larambroge zu sammeln. Denn diese Stadt hatte unter dem Schutz der Goldéi gestanden; hier hatte die Sphäre nicht wie im restlichen Land getobt. Kathyga hatte sich derweil verändert; Flüsse waren zu reißenden Strömen angeschwollen, öde Felder hatten sich in Treibsandmeere verwandelt, aus dem Arkwald waren Wölfe und Bären in das Land eingefallen und hatten Jagd auf die Menschen gemacht. Nur in Larambroge waren sie sicher gewesen, beschützt von den Goldéi und von König Eshandrom.
    Aber der Preis, den die Kathyger für diesen Schutz gezahlt hatten, war hoch gewesen. Eshandrom hatte eines Tages verkündet, dass Kathyga ihnen bald verloren gehen würde; dass der Boden vergiftet wäre und die Träne des Nordens voller Hass auf die Überlebenden. Er hatte sein Volk darauf vorbereitet, Gharax bald zu verlassen. Anfangs hatten sie ihm nicht geglaubt, ihn ausgelacht. Doch die Wandlung der Welt hatte niemand mehr leugnen können; nicht die Stürme, die über Larambroge hinweggejagt waren, nicht die Sanddünen, die von den Steppen her auf die Stadt zugekrochen waren und die Wege verschüttet hatten. Und dann, nach zwei Jahren der wachsenden Furcht, hatte der König sein Volk um sich geschart. Die Zeit des Aufbruchs … sie waren zum Feld Lamegin emporgestiegen, einer Hochebene nördlich von Larambroge. Jeder hatte nur das Notwendigste mitnehmen dürfen, ein paar Kleider, eine Waffe, Wasser und Nahrung. So hatten die Kathyger auf dem Feld ausgeharrt, drei Tage lang. Ihre Vorräte hatten sich dem Ende zugeneigt. Boten hatten beunruhigende Nachrichten überbracht: Die Goldéi wären nach Osten gezogen, und ein Heer aufständischer Rochenländer zöge auf Larambroge, um Eshandrom zu stürzen. Doch ehe am Ende noch Blut auf Kathygas Boden vergossen worden war, hatte sich auf dem Feld Lamegin ein Wunder ereignet, so wie Eshandrom es versprochen hatte.
    In der vierten Nacht – sie war sternklar gewesen, kein Mond am Himmel, keine nächtlichen Wolken – war von den Sternen ein Kind herabgestiegen, ein Gesandter der Götter; golden die Maske in seinem Gesicht, sein Leib umschwirrt von Silberklauen. Er hatte zu ihnen gesprochen, mit heller Stimme verkündet, dass er die Kathyger retten wolle, vor der Sphäre und vor Gharax. Dann hatte er sie in den Nebel geführt, der sich von der See auf das Land gedrängt hatte. Hand in Hand, ihre wenigen Habseligkeiten auf den Rücken, die Worte des Kinds in den Ohren … so waren sie Laghanos gefolgt, im Wissen, dass die Sphäre sie auslöschen würde, wenn sie in Kathyga zurückblieben.
    Nun waren sie am Ziel; verloren, müde, hungrig. Der Marsch hatte Tage gedauert, zumindest hatten sie es so empfunden. Und am Ende wartete keine blühende Welt auf sie, sondern ein toter Acker.
    »Wo habt Ihr uns hingebracht, Eshandrom?« Ein jüngerer Mann stieß die Worte hervor, die allen auf den Lippen lagen. »Sollen wir hier leben, in einem Morast? In dieser Erde wird nichts gedeihen. Wir werden verhungern!«
    Der König antwortete nicht. Er blickte auf die zwei Schiffe.
    »Und wo ist das Kind? Es ist fort! Es hat versprochen, uns in Sicherheit zu bringen. Aber hier sind wir nicht sicher, sondern zum Tode verurteilt.« Es war eine bittere Anklage, die der Mann seinem König entgegenschleuderte. »Was sollen wir tun? Sagt es uns!«
    Eshandrom würdigte ihn keines Blickes. »Ja, Laghanos hat uns verlassen. Aber wir leben. Nur darauf kommt es an.« Er wandte sich dem Volk zu. »Ich weiß, ihr glaubt euch verloren. Doch Laghanos versprach, dass diese Welt uns eine Heimat werden wird, größer und schöner noch als Gharax. Wir werden sie in Besitz nehmen.« Er rief die Worte laut auf den Acker hinaus. »Vor Jahren, als dieses Grauen begann, sagte ich einmal zu euch: Kathyga ist frei und wird es immer bleiben. Ich habe die Wahrheit gesagt! Wir werden Gharax vergessen, uns nicht mehr nach dem Vergangenen

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