Splitternest
mit dem neuen Land. Wie kann ein wacher Verstand das begreifen? Man spült uns an ein neues Ufer und lässt uns mit unseren Zweifeln allein.«
Hinter ihm schluchzte der Zauberer auf. Tarnac warf einen Blick über die Schulter, sah den Mann über den Boden kriechen. Er tastete den Felsen ab, suchte nach einem geeigneten Stein.
»Ja, dein Augenlicht muss erlöschen«, murmelte der König, »und das von allen, die den Weltengang nicht wagten. Jene, die durch den Nebel schreiten, haben sich von Gharax losgesagt. Sie sind bereit, den neuen Kontinent zu sehen. Aber die anderen müssen erblinden oder schweigen für immer. Das wird meine erste Aufgabe sein als König dieser Welt.«
Hinter ihm kauerte der Solcata-Mönch. Seine Hände umkrallten einen Steinsplitter, den er aus einer Felsspalte gelöst hatte. Sein Schluchzen klang elend.
»Reiß dich zusammen«, sagte Tarnac freundlich. »Dir ergeht es besser als jenen, die auf Gharax zurückbleiben. Sieh es als Neubeginn. Vergiß, wer du warst. Vergiß deinen Namen und auch den Namen deines Gottes. Denn ihn müssen wir ebenso auslöschen, ihn uns aus dem Gesicht schneiden.« Er sah wieder auf die stürmische See. »Ich bin nicht länger Gharjors Sohn! Es wird neue Götter geben auf dieser Welt. Vielleicht ist der Knabe Laghanos, von dem sie alle sprechen, der erste von ihnen; und auch mein Name wird in den Legenden auftauchen, die von der Geburt dieses Landes künden. Denn ich bin Tarnac von Gyr. Der erste König des neuen Zeitalters.«
Das Schluchzen des Zauberers ging in ein Wimmern über. Er bäumte sich auf. Seinen Fingern entglitt der blutige Stein, während er die Hände vor das Gesicht presste. Blut quoll zwischen ihnen hervor. Er rutschte ein Stück den Hang hinab. Der zweite Mönch konnte ihn im letzten Augenblick vor dem Absturz retten.
»Dort!« rief Tarnac nun. »Ein Schiff in der Ferne. Einsam segelt es auf den Wellen, unberührt vom Sturm.«
Es war keine Täuschung. Eine riesige schwarze Barke kämpfte sich durch das Wasser. Sie kroch an der zerklüfteten Küste entlang, näherte sich langsam Venetors Schere.
»Die Südsegler!« Tarnacs Augen leuchteten auf. »Sie haben das neue Ufer gefunden. Ihre Suche war erfolgreich.« Er strich seine Robe glatt. »Die blinden Seeleute darf ich mir nicht zu Feinden machen. Ich muss sie willkommen heißen.«
Er wandte dem Silbermeer den Rücken zu. Hinter ihm zuckten Blitze, und der Turmbinder an seinem Arm funkelte, als rufe ihn das Meer ein letztes Mal. Doch schon rutschte der Ärmel hinunter, und der graue Stoff verdeckte das Armband.
»Und der Turmbinder? Wo hat der Suffkopf Parzer ihn hingeschleppt? Überhaupt, wo sind die nichtsnutzigen Molche - Parzer, Ungeld, Mäulchen und all die anderen? Ich sag’s dir im Guten, Rotbauch: Raus mit der Sprache, oder ich vergesse meine Pflichten als Gastgeber.«
Schummriges Licht herrschte im Schankraum der Roten Kordel. An schmierigen Tischen lümmelte das Fischervolk von Rhagis, viele mit rotgeäderten Augen, verglühende Kometen einer durchzechten Nacht. Vor dem Schenker, der Durchreiche zur Küche, stapelten sich Tonschalen zu einem waghalsigen Turm, der von jeder Schimpftirade des Gastwirts Stolling erschüttert wurde.
»Von diesen Pflichten haben wir nie viel mitbekommen«, antwortete Aelarian. Der Großmerkant saß neben Cornbrunn am Tisch vor dem Schenker. In den Händen hielt er eine silberne Kette. Gedankenverloren spielte er mit der Falkenplakette. Aelarian wirkte gelassen. Stolling hingegen, der Gastwirt, tanzte um den Tisch, fuchtelte mit den Armen und schimpfte wie ein Rohrspatz.
»So? Nicht viel mitbekommen? Euch sollte man die Backen polieren, bis sie rot sind wie Furunkel. Da schleicht ihr in meinen Keller, haut mir die Luke zuschand und wagt es auch noch, freche Reden zu führen!« Stolling raufte sich die zauseligen Haare. Dann besann er sich eines Besseren, stürzte zum Schenker, griff eine der letzten gefüllten Tonschalen und stürzte den ›Raschen‹ hinab. Die Schale zertrümmerte er auf der Ablage, so dass die Scherben in alle Richtungen davonstoben.
Cornbrunn mischte sich in den Streit ein. »Wir sagten es doch bereits, Stolling – eure Dorfschelme sind uns leider abhanden gekommen. Kaum war das Licht des Leuchtturms erloschen, segelten wir der gyranischen Flotte in die Arme. Parzer versuchte ihnen zu entkommen – vergeblich! Die Gyraner deckten das Schiff mit Brandpfeilen ein, unsere Segel gingen in Flammen auf, und der Großmerkant,
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