Splitterseelen
Seufzen und Schluchzen lag, rollte er sich am Boden zusammen. Weinen wollte er nicht, nicht in Gegenwart von Mijo, der damit nur einen weiteren Grund hätte ihn zu verspotten – oder schlimmer, ihn auf seine Weise ‚trösten’ zu wollen. Doch wie sollte er es aufhalten?
Innerlich fluchend wartete Mijo auf Nachricht vom Tribunal. Er hatte seinen Job getan, warum musste er jetzt Babysitter für den Kleinen spielen? Der junge Mann lag in embryonaler Schutzhaltung da und flennte leise vor sich hin. Dabei war noch gar nichts Schlimmes passiert. Es würde auch erst einmal nichts Schlimmes passieren, schließlich wollte das Tribunal ihn als Druckmittel benutzen, um diese Bastarde zu erpressen. Dafür war es schon sinnvoll, den Jungen heil zu lassen. Foltern musste ihn niemand, er wusste schließlich nichts und ihn ernstlich zu bespielen war zu gefährlich. Menschen gingen einfach viel zu schnell kaputt.
Als es unvermutet klopfte, sprang Mijo erleichtert hoch, riss die Tür auf – und prallte zurück, als er erkannte, wen er da vor sich hatte: Nirta, Calaels Schwester!
„Wie zur Hölle bist du hier reingekommen?“
Jason rappelte sich erschrocken hoch, als er Mijos hasserfüllte Stimme hörte. Der Dämon belauerte eine junge Frau, die viel zu zart und zerbrechlich wirkte, um irgendjemanden gefährlich werden zu können. Lediglich der Edelstein um ihren Hals verriet, dass sie eine der Spiegelweltler sein musste, während das intensive Blau ihrer Augen ahnen ließ, mit wem sie möglicherweise verwandt war.
„Beruhige dich, Mijo“, sagte sie mit einem liebreizenden Lächeln. „Ich bin nicht wirklich anwesend, das ist eine Traumprojektion. Erinnerst du dich nicht an meine magische Spezialität?“ Sie glitt durch Mijo hindurch, als wäre er Luft und trippelte auf Jason zu.
Knurrend warf Mijo die Tür ins Schloss und verstellte ihr den Weg.
„Was. Willst. Du?“
„Dich warnen. Das Tribunal hat mehr mit Jason vor, als es dich wissen ließ. Es besteht auch deutlich mehr Einvernehmlichkeit zwischen Tribunal und Patriarch, als man uns alle glauben lässt.“
„Und woher weißt du das, Nirta? Dein bisschen Magie ist zu schwach, als dass man dich mit den Großen mitspielen lassen würde, andernfalls hätten Andina oder Calael dich auch längst beseitigt.“
Nirta lachte, ein helles, herzerwärmendes Lachen, das Jason faszinierte. Lag darin ebenfalls Magie? Er vertraute ihr, wollte mit ihr gehen, obwohl sie zu den Feinden gehörte, und das allein aufgrund dieses Lachens.
„Mijo, nur weil die anderen mich nicht mitspielen lassen wollen, heißt das nicht, dass ich ihnen nicht unbemerkt zuschauen kann. Meinem Bruder, meiner Cousine, meine schwachsinnigen Cousins, meinem ehrenvollen Vater, dem Dämonentribunal … Egal wem.“ Schlagartig wurde sie wieder ernst. „Du musst mir nicht glauben. Aber denk an die Legende von Sharnak und frage dich, warum die Dämonen dich beschützen sollten. Du bist menschgeboren, kein reinblütiger Seelenloser. Denk darüber nach, warum sie Jason haben wollen und ob wirklich er das Ziel ist. Denk darüber nach, was für ein Mann mein Bruder ist und ob er ein guter Patriarch sein könnte.“
Ihre Gestalt wurde durchsichtig.
„Warte!“, brüllte Mijo so laut, dass Jason zusammenfuhr. „Warum erzählst du mir das, selbst wenn es stimmen sollte? Was hast du dadurch zu gewinnen?“
„Gewinnen?“ Nirtas Körper festigte sich wieder, sie bedachte Jason und Mijo mit einem weiteren strahlenden Lächeln. „Ich spiele meine eigenen Spiele, dafür brauche ich die Großen nicht. Ob es dabei etwas für mich zu gewinnen gibt, werde ich dir nicht verraten, mein lieber Dämon.“ Mit einem weiteren sinnesverwirrenden Lachen löste sie sich endgültig auf.
Mijo stampfte wie ein gefangenes Raubtier durch den Raum, auf und ab, und murmelte dabei vor sich hin. Jason sah ihm eine Weile dabei zu, bis es ihm zu dumm wurde.
„Was ist die Legende von Sharnak?“
Ruckartig wirbelte der Dämon zu ihm herum und starrte ihn an, als hätte er vergessen, dass Jason sich ebenfalls in diesem Raum befand.
Mijo schnaubte und riss sich zusammen. Er hatte selbst nicht die geringste Ahnung, was es mit dieser Legende auf sich haben könnte, wollte das allerdings seinem unfreiwilligen Gast gegenüber nicht zugeben. Während er noch hektisch überlegte, was er tun sollte, piepste es in seiner Hosentasche – das Tribunal rief nach ihm, ausgerechnet jetzt!
„Komm mit“, knurrte er Jason
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