Splitterseelen
überreizt, als der Krieger sie eingelassen hatte. Der Hauptvorteil, so zu tun als würde man brav anklopfen, bestand darin, die Leute denken zu lassen, Nirta wäre tatsächlich gerade erst angekommen. Eben ohne vorher bereits alles beobachtet und belauscht zu haben. Ihre Gegenwart bewirkte, dass ihr Vater sich etwas beruhigte, stellte sie zufrieden fest.
„Ich habe mitbekommen, wie Calaels Begleiter zurückkehrten, offenbar ohne ihn, und dass sie sehr aufgeregt sind. Kann ich vielleicht irgendwie behilflich sein, Vater?“ Nirta lächelte lieblich, und schon entspannte sich der alte Mann, den sie Zeit ihres Lebens gehasst hatte.
„Dein Talent könnte tatsächlich einmal nützlich sein, Liebes. Such deinen Bruder. Sobald du weißt, wo er sich aufhält, sagst du sofort Bescheid. Und falls du Mijo oder Calaels Zwilling findest, ist das ebenso von hoher Wichtigkeit. Sie sind alle drei seit Tagen verschollen, ich muss wissen, ob sie noch leben!“
„Sehr gern, Vater. Es kann ein wenig dauern, wie du weißt, aber ich werde mir alle Mühe geben.“ Mit einem weiteren Lächeln, das Eisblöcke schmelzen lassen könnte, schwebte Nirta wieder hinaus.
Alle drei Männer waren also verschollen und es war ungewiss, wer von ihnen noch lebte. Ob es Mijo gut ging? Sie seufzte verhalten. Nicht zum ersten Mal bedauerte sie von ganzem Herzen, dass der Dämon ausschließlich Männer in sein Bett ließ. Wie gerne hätte sie ihn gezähmt …
Mürrisch starrte Andina auf den nackten jungen Mann nieder, der leise schnarchend in ihrem Bett lag. Sie hatte nicht mit ihm geschlafen, ihn nicht einmal irgendwo anders berührt als an der Stirn. Er würde sich allerdings an stundenlangen heißen Sex mit ihr zu erinnern glauben, sobald er erwachte. Eine abstoßende Vorstellung! Andina hätte diesen jämmerlichen Wicht niemals in die Nähe ihres Schlafzimmers gelassen, wenn er nicht genau das besessen hätte, was sie dringend brauchte: Informationen über Calael.
Ihre Suchvögel waren erfolglos gewesen, hatten weder Mijo noch Calaels Seelenzwilling aufspüren können. Auch ihren Cousin selbst hatte sie nicht verfolgen können, er hatte leider genug talentierte Magier unter seinen Leuten. Ihr wollte niemand sagen, was los war. Darum hatte sie sich den nächstbesten willigen Kerl geschnappt, ihm befohlen, sich auszuziehen und hinzulegen. Eine Berührung genügte, um ihm das Bewusstsein und seine Erinnerungen zu rauben sowie neue Erinnerungen einzupflanzen. Manipulationen dieser Art gehörten zu Andinas Spezialitäten, die sie sehr sparsam dosieren musste, da es gefährlich für ihre Opfer sein konnte. Um die meisten wäre es nicht schade, aber man würde sie vermutlich schneller verbannen als sie piepsen konnte, wenn man sie bei so etwas erwischte.
Nachdenklich marschierte sie durch ihren beleidigend kleinen und kargen Schlafraum auf und ab. Mehr Platz hatte man ihr nicht zugestanden, obwohl sie die Nichte des Patriarchen war. Selbst dieser Niemand da in ihrem Bett besaß eine größere Unterkunft als sie. Andina war nicht erpicht auf Luxus, sie hatte in ihrem Leben unter weit schlechteren Bedingungen gehaust. Was sie verletzte war die Botschaft, die dahintersteckte: Sie wurde weiterhin nicht akzeptiert, ihr eigener Vater würde sie lieber tot sehen und niemand wollte sie als mögliche Matriarchin anerkennen. Nun, wenn Calael seine Magie nicht erhielt, würden sich alle mit diesem unliebsamen Gedanken anfreunden müssen, falls man nicht tatsächlich Boldt als Alternative wählen wollte.
„Du bist also in der Wildnis verloren gegangen, liebster Cousin“, murmelte sie. „Welch ein Unglück. Wie leicht könnte dir etwas Schreckliches widerfahren und niemand würde es je herausfinden …
Jason spürte, wie der Adra zur Landung ansetzte, konnte sich allerdings nicht rühren. Nicht einmal, als er sich wieder auf sicherem Boden befand und der Vogel den Schnabel weit aufsperrte, was Licht und saubere Luft zu ihm ließ. Alles war so unwirklich … Dieser Alptraum dauerte einfach viel zu lange an, warum wachte er nicht endlich auf? Er fühlte dasselbe wie damals, als er im Krankenhaus lag und unentwegt nach seinen Eltern fragte. Sämtliche Ärzte und Schwestern waren unglaublich geduldig und liebevoll mit ihm umgegangen. Jeder hatte gelächelt, ihn gestreichelt und mit diesem ganz speziellen Unterton in der Stimme gesprochen, den er bereits als Elfjähriger gehasst hatte. Dieser Tonfall, der für schwerkranke, traumatisierte
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