Splitterwelten 01 - Zeichen
auch die Last der Vergangenheit.
»Wie weit noch?«, wollte Jago wissen. »Diese Welt ist nichts für Chamäleoniden.«
»Nicht mehr weit«, knurrte Croy. »Dort unten befinden sich die Minen. Der gesamte Talkessel ist von Stollen durchzogen.«
»Uuu… und wie kommen wir hinunter?«, fragte Kieron.
»Gar nicht«, ätzte Jago. »Unser Katzenhirn hat nämlich unseren Flugdrachen draufgehen lassen.«
»Über das Gebirge hätten wir ihn ohnehin nicht mitnehmen können«, wehrte Croy ab. »Außerdem wäre die Gefahr, im Flug entdeckt und abgeschossen zu werden, viel zu groß gewesen.«
»Abgeschossen?«
»Die Talsohle ist übersät von Wachtürmen und verborgenen Stellungen«, erklärte der Pantheride. »Wer sich unerlaubt nähert, wird von Pfeilen durchbohrt. Aber es gibt einige Pfade, die an den Felsen entlang führen. Der Nebel und die hereinbrechende Dunkelheit werden uns vor Blicken schützen.«
»Die hereinbrechende Dunkelheit?« Jago schielte über die Abbruchkante hinweg in die dunstige Tiefe. »Du willst dich doch nicht heute noch an den Abstieg machen?«
»Eine andere Wahl haben wir nicht.«
»Aber der Pfad ist doch sicher sehr schmal und gefährlich?«
»In der Tat.«
Der Chamäleonid schnitt eine Grimasse. »Vielleicht hast du es ja noch nicht bemerkt, Katzmann, aber anders als du können der Mensch und ich im Dunkeln nicht sehen.«
»Dann«, erwiderte der Pantheride ungerührt, »solltet ihr besser dicht hinter mir bleiben. Auch wenn deine Gegenwart und dein Gestank mich abstoßen.«
»Gestank?«, fragte Jago verdutzt und schnupperte an sich selbst. »Welcher Gestank …?«
Croy schien des Gesprächs überdrüssig, denn er wandte sich ab und folgte dem Verlauf der Abbruchkante. Schon nach einigen Schritten begannen sich seine Umrisse im weißgrauen Dunst zu verlieren.
Der Notwendigkeit gehorchend, versuchte Jago zu ihm aufzuschließen, was infolge seiner kurzen Beine nicht einfach war. Kieron blieb ihm auf den Fersen, und so gingen sie eine Weile an der Abbruchkante entlang, die gähnende Tiefe zu ihrer Linken. Hin und wieder war metallischer Hammerklang zu vernehmen, der fraglos aus den Stollen drang und vom weiten Rund des Talkessels verstärkt wurde. Der Gedanke an all das Elend, das sich hinter den Nebelschleiern verbergen mochte, ließ Kieron bis ins Mark erschaudern.
Nach einer Weile stießen sie auf einen schmalen Pfad, der sich in das Gestein einschnitt und an der steil abfallenden Wand in die Tiefe führte. Mit gerade zwei Fuß Breite war es wenig mehr als ein Vorsprung im Fels, doch es schien der einzige Weg zu sein. Sich mit dem Rücken eng an das schroffe, kalte Gestein pressend, folgte Kieron seinen animalischen Begleitern, die es ungleich leichter hatten als er. Croys nackte Füße fassten mühelos auf dem glitschigen Gestein Tritt, seine Krallen verschafften ihm zusätzliche Sicherheit. Auch Jago brachte seine Klauen zum Einsatz, um sich den erforderlichen Halt zu verschaffen, seinen Schwanz benutzte er, um sich auszubalancieren. Kieron hingegen blieb nichts übrig, als zu hoffen, dass er nicht daneben trat.
So ging es hinab, immer tiefer hinein in den Nebel, und je weiter sie vorstießen, desto dunkler wurde es. Die Sonne, die ohnehin nur eine ferne Ahnung gewesen war, verblasste jenseits des Felsenrands und ließ den Talkessel in Dunkelheit zurück, die sich mit jedem Schritt noch zu verdichten schien. Schon hatte Kieron Mühe, Jago vor sich zu erkennen, dessen Schuppenhaut sich zudem dunkel verfärbt und die Farbe des Gesteins angenommen hatte.
Mit beiden Händen Kontakt zur Felswand haltend, arbeitete sich der Junge voran, hoffte nur, dass er nicht ausrutschte oder der schmale Vorsprung unter seinen Füßen plötzlich brach – in beiden Fällen wäre er unrettbar verloren gewesen.
Plötzlich ein flatterndes Geräusch und ein scharfer Luftzug, und Kieron glaubte, einen Schatten zu sehen, der an der Felswand herab- und an ihnen vorbeistürzte.
»W-was war das?«, fragte Jago, der wie erstarrt stehen geblieben war.
»Flederjäger«, antwortete Croy. »Die Biester jagen bei Nacht, und sie sehen noch um vieles besser als ich. Solange wir in Bewegung bleiben, werden sie uns nicht angreifen, aber wenn sie den Eindruck gewinnen, dass wir langsamer werden oder geschwächt sind, werden sie sich auf uns stürzen und uns das Blut aussaugen.«
Kieron starrte hinaus in den Nebel und in die Nacht. Ein schriller Schrei war zu hören, und unwillkürlich fragte sich der Junge, wie
Weitere Kostenlose Bücher