Splitterwelten 01 - Zeichen
flüsterte er mit dem kläglichen Rest, der von seiner Stimme geblieben war. »Ich schwöre es …«
»Du stehst mit den Nokturnen im Bündnis«, war Harona überzeugt. »Gib es zu, und deine Qualen werden ein Ende haben.«
»Ich weiß nichts von diesen Dingen, ich schwöre es Euch.«
»Das ewige Wiederholen deiner Schwüre interessiert mich nicht«, entgegnete die Inquisitorin.
»Ich bin kein Verräter.«
»Nein?« Sie hob eine Braue. »Hast du nicht dem König falschen Rat gegeben? Haben unter deiner Amtszeit als maior domus nicht nokturne Mächte am Königshof Fuß gefasst? Und hast du sie nicht gewähren lassen?«
»Davon weiß ich nichts«, versicherte der Gefolterte flüsternd. »Ich war nur der Verwalter …«
»… und damit verantwortlich für alles, was bei Hofe geschah. Unter deiner Ägide ist aus dem Königspalast ein Freudenhaus geworden!«
»I-ich habe nur getan, was der König wollte!«
»Willst du behaupten, der König trüge Schuld an allem?«
»Nein, nein«, beeilte sich Arion zu versichern. »Natürlich nicht …«
»Also gibst du zu, dass es deine Schuld war, dass der König seine Pflichten vernachlässigt hat und ein selbstvergessener Säufer geworden ist?«
»Ja«, bestätigte der ehemalige Hausmeier unter Tränen, »wenn Ihr es so sehen wollt …«
»Und dass du mit nokturnen Mächten im Bunde stehst«, fügte die Inquisitorin hinzu.
»Nein, das nicht«, wehrte der Gefangene entschieden ab. »Das nicht …«
Harona seufzte und trat von der Folterbank zurück. Sie senkte das Haupt und schien sich innerlich zu sammeln, und Prisca, die dabeigestanden und alles wortlos verfolgt hatte, erwartete schon, dass ihre Meisterin erneut von ihren Fähigkeiten Gebrauch machen würde, um die Zunge des Gefangenen endgültig zu lösen.
Aber es kam anders.
Unvermittelt drehte sich Harona zu ihr um. In ihren eisfarbenen Augen lag eine stumme Aufforderung.
»I-ich?«, fragte Prisca.
»Du«, sagte ihre Meisterin nur – und Prisca wusste, dass der Augenblick gekommen war.
Jener Augenblick, vor dem sie sich insgeheim gefürchtet hatte, obwohl sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Nicht, wenn sie ihre Verfehlung vergessen machen und beweisen wollte, dass sie das Vertrauen verdiente, das ihre Meisterin in sie setzte.
Zögernd trat sie an die Folterbank.
Aus der Nähe betrachtet, wirkte der Gefangene noch um vieles elender, wie er zitternd und abgemagert vor ihr lag, sein Körper glänzend von Blut und Schweiß. Zuerst hatte der Folterknecht ihm die Fingernägel ausgerissen, dann das Brandeisen angesetzt – dennoch hatte der oberste Hofbeamte noch immer kein Geständnis abgelegt.
Was, wenn er tatsächlich unschuldig war …?
»Du zögerst«, sagte Harona.
»Nein, Meisterin«, versicherte Prisca. »Ich habe mich nur gefragt …«
»Was gibt es noch zu fragen?«
»Nichts.« Die Schülerin biss sich auf die Lippen. Sie sagte sich, dass der maior domus seine Chance gehabt hatte. Dass er ohnehin verloren war. Dass ihre Meisterin ihn persönlich foltern würde, wenn sie es nicht tat.
»Dann kennst du deine Aufgabe.«
»Ja, Meisterin.«
Prisca schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, waren sie nach innen gerichtet, auf ihr arcanum , jenen verborgenen Ort, dem die Kraft der Gildeschwestern entsprang.
Konzentration.
Gleichgewicht.
Arion holte erschrocken Luft, als er die milchigen Augen der Gildeschülerin sah – im nächsten Moment griff eine unsichtbare Hand in sein Innerstes und quetschte seine Eingeweide.
Der Hausmeier schrie so entsetzlich, dass sich seine Stimme überschlug. Prisca spürte, wie ihr übel wurde. Tränen wollten ihr in die Augen schießen, und alles in ihr drängte sie dazu, von ihm abzulassen, aber sie verbot sich jede persönliche Empfindung. Sie erfüllte ihre Pflicht. Genauso, wie ihre Meisterin es von ihr erwartete. Und wie sie es von sich selbst erwartete.
Noch einmal benutzte sie ihre Kräfte dazu, die Innereien des Gefangenen zu verdrehen und ihm Qualen zu bereiten, die schlimmer sein mussten als jeder bekannte Schmerz.
»Das reicht«, sagte Harona unvermittelt.
Priscas Blick klärte sich, innerlich atmete sie erleichtert auf. Ihr Opfer lag ausgestreckt auf der Folterbank, erschöpft und mit rasselndem Atem. Blut rann aus seinen Mundwinkeln.
»Eine letzte Chance gebe ich dir«, kündigte Harona an. Sie griff unter ihren Umhang und zog ein Medaillon hervor, das an einer dünnen Kette hing und nur wenig größer war als eine Münze. Darauf
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