Splitterwelten 01 - Zeichen
breitschultriger, mit Fellen und Eisen bekleideter Leiber verschwunden, die ihn zu einer steilen Treppe eskortierten.
Kalliope blieb nichts übrig, als zu warten, und bis Erik zurückkehrte, hatte sie das Gefühl, eine Ewigkeit wäre verstrichen. Die bohrenden Blicke, die strengen Gerüche, die Sprache, die sie nicht verstand – all das machte ihr unmissverständlich klar, dass sie eine Fremde war auf dieser Welt. Und während sie bislang Wert darauf gelegt hatte, sich von den so primitiven Bewohnern dieses Weltensplitters zu unterscheiden, fühlte sie zum ersten Mal eine Spur von Bedauern, eine unbestimmte Sehnsucht nach einem Dasein, das einfacher war und freier als das Leben, dem sie sich bislang verschrieben hatte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Erik, der den Schlitten wieder bestiegen hatte.
»Natürlich«, versicherte sie schnell. »Hattet Ihr Gelegenheit, den Hauptmann zu sprechen?«
Erik nickte. »Er sagt, dass sich schon lange kein Skoll mehr im Umkreis von Heimdall hätte blicken lassen. Vor fünf Nächten jedoch haben seine Männer und er eine Beobachtung gemacht.«
»Fünf Nächte?« Kalliope rechnete kurz nach. »Das war kurz vor Meisterin Cedaras Tod.«
»In der Tat.«
»Was haben die Männer gesehen?«
»Feuer«, entgegnete Erik leise. »Eine lodernde Flamme auf der anderen Seite der Brücke. Offenbar haben Krieger der Skolls dort gelagert. Und ihrem Heulen nach, das in jener Nacht zu hören war, hatten sie einen Grund zum Feiern.«
»Was bedeutet das?«, wollte Kalliope wissen.
»Um das herauszufinden, sind wir hier.«
»Ihr wollt also tatsächlich auf die andere Seite? Nach Fenrismark?«
»Ihr etwa nicht?«
Kalliope gab sich Mühe, Zuversicht in ihre Worte zu legen. »Wenn es dort die Wahrheit zu finden gibt, bin ich bereit.«
Er nickte entschlossen, und nachdem er sich mit knappen Worten von den Wächtern Heimdalls verabschiedet hatte, lenkte er den Schlitten über das Stroh, mit dem der Boden bedeckt war, zum anderen Ausgang der Halle. Das Tor wurde geöffnet, und helles Licht und eisig kalter Wind fluteten herein. Die Peitsche knallte, und im nächsten Moment befanden Kalliope und ihre Begleiter sich auf der zweiten Brücke, die den Bogen von Thulheim ins Land der Wölfe schlug.
Inzwischen hatte es zu schneien begonnen. Winzige Flocken sausten durch die Luft, die nach Eis und Kälte roch. Ein Blick zurück zeigte Kalliope, wie Heimdall in Dunst und Ferne verschwand. Dann waren sie ringsum von Kälte und Schnee und heulendem Wind umgeben. Mit einer Hand klammerte sich Kalliope an die hüfthohe Brustwehr des Schlittens, mit der anderen zog sie ihre Kapuze enger, um sich vor der eisigen Kälte zu schützen.
Je näher sie der anderen Seite und den schroffen, von Schnee gekrönten Bergen kamen, desto dunkler wurde es. Das Grau der Wolken schien sich über der Fenrismark dichter zu ballen als an jedem anderen Ort der Welt, und immer wieder zogen gewaltige Blitze über den Himmel, denen dumpfes Donnergrollen folgte. Schwermut legte sich auf Kalliopes Herz, und in Gedanken wiederholte sie den Lehrsatz über die Furcht und das innere Gleichgewicht wieder und wieder, bis sie die andere Seite erreichten.
Hier gab es keine Spur, die durch den Schnee führte – die Straße verlor sich schon nach wenigen Schritten zwischen kantigen, grüngrau schimmernden Felsen, die sich dem Besucher wie feindselige Klingen entgegenreckten. Kalliope fühlte Beklemmung, so als könnte sie das Böse, das jenseits dieser Felsen lauerte, körperlich spüren. Auch aus den Zügen Eriks und seiner beiden Leibwächter war die unbekümmerte Sorglosigkeit, die sie vorhin noch zur Schau getragen hatten, gewichen. Sie hatten die Schlitten zum Stehen gebracht und blickten sich vorsichtig um. Dann stieg Erik als Erster vom Schlitten.
»Bleibt bei ihr«, wies er seine beiden Gefolgsleute an, auf Kalliope deutend, »ich sehe mich um.«
»Aber Herr«, widersprach Sven und schüttelte die blonde Mähne. »Wir sind für Euren Schutz verantwortlich, nicht für den der Gildeschwester.«
»Und ich habe geschworen, sie zu beschützen«, konterte Erik, »also tut, was ich Euch sage.«
»Aber Euer Vater …«
Als Erik diesmal antwortete, tat er es in seiner eigenen Sprache, sodass Kalliope ihn nicht verstehen konnte, aber die Worte hörten sich hart und schneidend an und beendeten den Wortwechsel abrupt. Mit einem entschlossenen Nicken wandte der Prinz sich um und stieg die verschneite Anhöhe hinauf. Auf dem Grat
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