Splitterwelten 01 - Zeichen
flatterten – die Mähnen im Kampf getöteter Skolls, die nach Fenrismark zu tragen als Zeichen besonderen Mutes und herausragender Tapferkeit galt. Einen lebenden Skoll hatte Kalliope noch nie zu Gesicht bekommen, aber sie nahm an, dass es furchterregende Kreaturen waren, von roher Grausamkeit und Wildheit. Und wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie die Wolfsmenschen durchaus fürchtete.
Furcht ist der natürliche Feind der Levitatin, zitierte sie in Gedanken zum ungezählten Mal den Codex, denn Furcht stört das innere Gleichgewicht …
Wie immer verströmten die Worte eine beruhigende Wirkung, aber sie genügte nicht, um Kalliopes Unruhe zu vertreiben. Was würden sie im Land der Skolls antreffen? Was für Spuren hoffte Erik zu finden? Und führten diese zu Cedaras Mörder?
Die Brücke war nun immer deutlicher zu erkennen. Wie Kalliope feststellte, gab es eigentlich nicht nur eine, sondern zwei Brücken, die in der Mitte der Ebene von einem gewaltigen Pfeiler gestützt wurden. Zwar handelte es sich wohl nur um einen riesigen, von Schnee und Eis überzogenen Felsblock, jedoch wirkten die schroffen Gesteinsformationen wie die Türme einer trutzigen Burg, ein letzter Grenzposten der Menschheit. Die Brücken selbst waren atemberaubend anzusehen und, wenn auch nur wenige Klafter Stärke messend, sie schienen den Elementen seit Äonen zu trotzen. Es war schwer vorstellbar, dass sie nicht von Menschenhand erbaut worden waren, aber so musste es sein, denn wann hätten Menschen jemals etwas so Großes errichtet?
Erik trieb die Zugtiere zur Eile an. In rasender Schnelle flog der Schlitten am Abgrund entlang. Noch eine weite Kurve, dann ging es hinaus auf die Brücke.
Der schroffe Fels der Klippen fiel zurück, und Kalliope hatte das Gefühl, über die eigentümliche Landschaft hinwegzufliegen, die sich zu beiden Seiten der Brücke erstreckte. Je näher sie dem Pfeiler kamen, desto deutlicher wurde, dass es sich tatsächlich um einen Grenzposten handelte, ein Brückenhaus, das dazu diente, die Pforte nach Thulheim zu sichern. Mächtige Tore waren in das von Eis überzogene Gestein eingelassen, darüber und auf den Türmen patrouillierten schwer bewaffnete Krieger, deren gehörnte Silhouetten sich gegen den grauen Himmel abzeichneten.
»Dies«, erklärte Erik dazu, »ist Heimdall, die Burg der Wächter. Wer immer die Brücke passiert, muss an Heimdalls Kriegern vorbei.«
»Und Ihr glaubt, dass die Skolls den Weg über die Brücke genommen haben?«
»Das wohl nicht – aber vielleicht haben die Wächter etwas gesehen.«
Mit atemberaubender Geschwindigkeit jagten die Schlitten auf Heimdall zu. Erst kurz vor dem Tor zügelten Erik und Einar die Eisrenner, und der Prinz rief etwas in seiner rauen Sprache zum Torposten hinauf. Es schien sich um eine Losung zu handeln, denn im nächsten Moment öffnete sich einer der Torflügel, der breit genug war, um die Vierergespanne passieren zu lassen.
Schlagartig wurde es dunkel. Das fahle Tageslicht wich dem Schein mehrerer Feuer, die gleichzeitig für ein wenig Wärme sorgten. Kalliope konnte einige schemenhafte Gestalten erkennen, hünenhafte Krieger, die an grob gezimmerten Tischen saßen. Strenger Geruch lag in der Luft, der einerseits von dem Fleisch stammen mochte, das über einem der Feuer gebraten wurde, andererseits auch von den Tieren, die auf der anderen Seite der Halle in einem Pferch gehalten wurde – Kalliope erkannte einige Eisrenner, aber auch einen Elefanten mit langem, grauweißem Fell, der offenbar als Lasttier benutzt wurde.
Eriks Eintreffen sorgte unter den Anwesenden für helle Freude. Fast alle kamen herbei, um dem Sohn des Fürsten die Hand zu schütteln, einer reichte ihm gar ein Horn mit Met, das Erik ohne Zögern und zur sichtlichen Erbauung der Krieger bis auf den Grund leerte. Auch die beiden Einherjar wurden freudig begrüßt – Kalliope hingegen traten die Männer von Heimdall mit Vorsicht entgegen. Ihre Blicke verrieten gleichermaßen Misstrauen wie Furcht – vermutlich, dachte Kalliope beklommen, war das die Reaktion, die sie als Mitglied der Gilde hätte erwarten sollen. Die Sache war nur, dass sie sich dadurch ausgeschlossen fühlte.
Einsam.
Aber dies war bedauerlicherweise kein neues Gefühl für sie.
»Wohin geht Ihr?«, fragte sie Erik, als dieser vom Schlitten stieg.
»Hinauf auf den Turm zum Hauptmann«, entgegnete er, »wartet hier auf mich.« Und ehe Kalliope etwas erwidern konnte, war er inmitten eines Pulks
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