Splitterwelten 01 - Zeichen
tiefer er gelangte, desto beißender wurde der Gestank.
Es war unbegreiflich, unter welchen Voraussetzungen Rattenkreaturen überleben konnten. Sie waren die einzige halbwegs intelligente Spezies, die sich trotz der widrigen Bedingungen, trotz der Hitze und der giftigen Dämpfe dauerhaft auf Nergal zu behaupten vermochte. Croys schwarzes Fell hingegen glänzte vor Schweiß; seine linke Körperhälfte war ein einziger Schmerz, und er hatte das Gefühl, als wollte sein Schädel jeden Augenblick platzen; wenn er diese Sache nicht rasch zu Ende brachte, würde es das Letzte sein, was er tat.
Das Ende des Schachts kam näher, und mit jedem Stück, das er tiefer gelangte, vergrößerte sich der Ausschnitt, den Croy von der darunter liegenden Höhle sehen konnte.
Das Erste, was er erblickte, waren wild durcheinanderwimmelnde, mit grauschwarzem Fell besetzte Leiber, die sich um irgendetwas zu balgen schienen. Dann sah er die Knochen, die auf dem Boden verstreut waren, die meisten säuberlich abgenagt, einige noch mit fauligen Fleischresten, die für ekelhaften Geruch sorgten. Croy verzog das Gesicht. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, von wem diese Knochen stammten. Die Vermutung, dass auch unvorsichtige Sklaven darunter waren, lag allerdings nahe.
Die spärliche Beleuchtung, die das nicht besonders hohe, aber etwa einhundert Fuß durchmessende Gewölbe erfüllte, stammte aus einigen Behältern, die mit einer zähen, grün leuchtenden Substanz gefüllt waren – dem Kot der Höhlenmaden, die in den Stollen Nergals lebten und sich von fluoreszierendem Moos ernährten. Croy kannte das Zeug, das bisweilen auch in den Minenstollen als Lichtquelle verwendet wurde. Nicht nur, dass es seinen Teil zum erbärmlichen Gestank beitrug, es war auch hochgiftig und ätzend und deshalb unter den Sklaven gefürchtet.
Da er das angebliche Artefakt nirgendwo entdecken konnte, blieb Croy nichts übrig, als tiefer zu klettern und den Schutz des Schachts zu verlassen. Er fand sich in einem Wald aus Tropfsteinen wieder, die von der Höhlendecke hingen und mit wilden Bemalungen versehen waren. Die Steine und die schwache Beleuchtung würden ihn vor neugierigen Blicken schützen.
Jedenfalls, solange er sich nicht bewegte.
Im spärlichen Schein des Madenkots versuchte Croy, die weiter hinten liegenden Bereiche der Höhle auszuspähen. Vorausgesetzt, Wits hatte diesmal die Wahrheit gesagt, musste irgendwo dort das Artefakt sein, das die Rattenkrieger aus Thongs Tempel entwendet hatten …
Tatsächlich!
An der Rückwand der Höhle, jenseits des Knäuels sich balgender Leiber, gab es eine Art Schrein, den man aus Geröllsteinen errichtet hatte. Darauf thronte eine aus rostigem Metall bestehende Truhe, die Wits’ Beschreibung zufolge das Artefakt enthielt. Vorausgesetzt, der Rattenmann hatte diesmal die Wahrheit gesagt.
Croy ließ sich ein Stück weiter am Seil hinab, das fast bis zum Boden reichte, sodass die kleinwüchsigen Ratten, die es selbst zum Auf- und Abstieg nutzten, es gut erreichen konnten.
Der Panthermann versuchte die Wachen zu zählen, doch sie wimmelten so rasch durcheinander, dass es unmöglich war, ihre genaue Stärke zu bestimmen. Es mochten dreißig oder vierzig sein – zu viele, um sich ihnen im offenen Kampf zu stellen. Ein Rattenmann allein mochte für einen Pantheriden keinen ernst zu nehmenden Gegner darstellen – vierzig davon waren sein sicherer Untergang.
War er erst auf dem Boden, musste es also schnell gehen.
Croy hatte das Ende des Seils fast erreicht. Von hier war es nur noch eine Manneslänge bis zum Boden. Dann jedoch musste er die Wegstrecke bis zum Schrein zurücklegen, und das zwischen den Wächtern hindurch. Natürlich hatte er die Überraschung auf seiner Seite, aber der Panthermann bezweifelte, dass das allein genügen würde. Dreistigkeit machte nur einen vergleichsweise geringen Teil eines erfolgreichen Raubzugs aus – Realitätssinn einen weitaus größeren.
Fieberhaft blickte sich Croy um.
Hätte er noch beide Hände besessen, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, sich an den Stalaktiten bis über das Artefakt zu hangeln und so an den Rattenkriegern vorbeizukommen – vorausgesetzt, die Tropfsteine waren fest genug. Mit nur einer Klaue war die Herausforderung bedeutend größer, aber Croy beschloss, sich dennoch darauf einzulassen.
Kurzerhand löste er sich vom Seil und sprang zum nächstbesten Tropfstein, auf den jemand mit ungelenker Hand eine grausig grinsende Fratze gemalt hatte.
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