Splitterwelten 01 - Zeichen
und bedrohten sie mit ihren schlagbereit erhobenen Waffen.
Hinter ihnen war Erik eingetreten. Auch der Prinz von Jordråk trug volle Rüstung, auch den Handschuh hatte er wieder angelegt. Seinen mit Nasen- und Wangenschutz versehenen Helm hatte er unter dem Arm, seine blonde Mähne wallte offen über die Schulter und ließ ihn wie einen Löwen wirken, der seiner Beute gegenübertrat. Seine Miene war versteinert, sein Blick nicht weniger finster und bedrohlich als der seiner Männer.
»Was hat das zu bedeuten?«, stieß Kalliope hervor, entsetzt von einem zum anderen blickend.
»Kommt Ihr freiwillig mit uns?«, fragte Erik nur. Nicht nur, dass er wieder in die formelle Ansprache gewechselt war; seine Stimme klang hart und unverhohlen drohend.
»Nein«, erwiderte Kalliope trotzig – worauf der Prinz seinen Männern einen knappen Befehl gab.
Die Einherjar traten daraufhin vor und wollten sie ergreifen, aber die Gildeschülerin dachte nicht daran, sich ohne Widerstand in ihr Schicksal zu fügen. »Nein!«, rief sie abermals und wich Urgars Griff aus. Dadurch kam sie in Reichweite des anderen Kriegers, der sie zu fassen bekam und zu sich riss. Der Ruck war so stark, dass sich die Urne, die Kalliope nach wie vor an sich gepresst hatte, ihrer Umklammerung entrang. Vergeblich versuchte sie, erneut danach zu greifen – mit einem entsetzten Aufschrei sah sie, wie das tönerne Gefäß zu Boden fiel und mit einem profanen Geräusch zu Bruch ging. Graue Asche quoll hervor und verteilte sich über den steinernen Boden.
»Nein!«
Der Einherjar schien selbst so entsetzt über seine Tat, dass er Kalliope losließ. Sie fiel auf die Knie nieder, konnte sich der Tränen nicht erwehren, die ihr in die Augen schossen, während sie versuchte, das wenige, das von ihrer Meisterin geblieben war, mit bloßen Händen zu fassen und in die Überreste des zerbrochenen Gefäßes zu geben. »Was habt Ihr getan?«, rief sie dabei und sah unter Tränen zu Erik und seinen Schergen auf. »Was habt Ihr nur getan?«
»Es tut mir leid«, versicherte der Sohn des Fürsten, und für einen winzigen Augenblick hatte es den Anschein, als zeigte seine ansonsten unbewegte Miene einen Ausdruck von Bedauern.
»Es tut dir leid?« Kalliope war außer sich. Sie sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt, um sich in hilfloser Wut auf ihn zu stürzen. »Lügner!«, brüllte sie dabei aus Leibeskräften. »Du hast sie ermordet! Kein anderer als du ist es gewesen …!«
Seinen unbewegten Zügen war keine Reaktion auf den Vorwurf zu entnehmen, aber er unternahm auch keinen Versuch, sich zu verteidigen. Ihre Fäuste hätten ihn im nächsten Moment erreicht, hätten die Einherjar sie nicht aufgehalten. Von beiden Seiten packten sie Kalliope, und obwohl sie sich nach Kräften wehrte, war sie ein leichtes Opfer. Natürlich versuchte sie, ihre Fähigkeiten zur Verteidigung einzusetzen, so wie Meisterin Cedara es getan und wie sie selbst es an jenem Tag an der Fenrismark getan hatte. Doch ihr innerlich wie äußerlich geschwächter Zustand ließ es nicht zu. Ihre Seele war in Aufruhr, die Quelle der Kraft war ihr verschlossen, und so blieb ihr nichts, als hilflos um sich zu schlagen, doch ihre Hiebe prallten wirkungslos an den Rüstungen ihrer Häscher ab, und so ermattete Kalliopes Widerstand.
»Gildeschwester, Ihr seid eine Gefangene des Fürsten von Jordråk«, beschied Erik ihr.
»Weshalb?«, rief sie außer sich. »Was habe ich getan?«
Der Fürstensohn antwortete nicht. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Kammer, und seine Leute folgten ihm mit der Gefangenen.
5. Kapitel
»Nein!«
Mit einem Aufschrei fuhr Kieron in die Höhe, die Hände schützend vors Gesicht gerissen. »Der Wolf! Er wird dich …!«
Er verstummte, als ihm bewusst wurde, wo er war.
Nicht auf jener kalten, von Eis überzogenen Winterwelt, auf der er sich eben noch gewähnt hatte, und das Flackern, das er durch die geschlossenen Lider wahrgenommen hatte, stammte auch nicht vom Schatten eines grässlichen Untiers, sondern von einem brennenden Lagerfeuer. Verwirrt wandte er sich um, sah die Felswände um und über sich und roch den süßlichen Duft der Wüste … Bazarra!
Vor zwei Tagen hatten sie die Wüstenwelt erreicht. Jagos Bedenken zum Trotz war es ihnen gelungen, den Sturmhai ans Ziel der Reise zu lenken. In einer Schlucht, die ausreichend Platz für das große Tier bot und an deren Ende eine Höhle als Obdach für die Nacht lag, hatten sie ihr Lager aufgeschlagen.
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