Splitterwelten 01 - Zeichen
sah.
Verständnislos sah er zu den Echsenkriegern hinauf, die wiederum aus ihren Helmvisieren zurückstierten. »Was soll das? Haltet das gefälligst jemand anderem vor die Schuppen!«
»Du bist verhaftet, im Namen des Kontors«, erklärte einer der Echsenmänner.
»Ich und verhaftet!«, ereiferte sich Jago. »Seit wann lässt das Kontor unbescholtene Bürger verhaften?«
Der Wächter trat vor und wollte ihn packen.
»Wag es nicht!«, herrschte Jago ihn an. »Bist du zu dumm, um einen ehrbaren Geschäftsmann von einem Dieb zu untersch…?«
Der Rest des Satzes ging in ein heiseres Zischen über, als die Klaue des Echsenkriegers vorschoss und Jago am Hals packte. Pfeifend entwich die Luft aus dem aufgeblähten Körper des Chamäleoniden, und er wurde wieder klein und unscheinbar. Die lange Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul, während er nach Worten rang. »Schon gut … habe verstanden … Missverständnis … wird sich rasch klären.«
»Abführen, alle drei«, wies der Anführer des Echsentrupps seine Leute an. »Zum Verhör!«
»Furchtbares Missverständnis …«, beteuerte Jago weiterhin, aber es half nichts – zusammen mit Croy und Kieron wurde er davongeschleppt, aus der Dachkammer auf die angrenzende Plattform und von dort die Stufen hinab auf den Steg, wo ein Karren bereitstand. Ein eiserner Käfig ruhte darauf, wie er zum Transport von Gefangenen benutzt wurde – offenbar hatte man genau gewusst, wo die Diebe zu finden waren.
Jago jammerte weiter, während er sich mit dem Schwanz und den dürren Beinen gegen das Gitter stemmte und auf diese Weise zu verhindern suchte, dass er in den Käfig gesteckt wurde. Dann jedoch ging ein Schlagholz nieder und brach den Widerstand des Chamäleoniden. Zusammen mit Kieron und dem Panthermann wurde er eingesperrt, und der von einem Tauriden gezogene Wagen setzte sich in Bewegung und rumpelte über die Planken des Stegs einem ungewissen Ziel entgegen.
Seine Freiheit, dachte Kieron beklommen, war nur von kurzer Dauer gewesen.
7. Kapitel
Der restliche Tag war wie im Flug vergangen.
Die verbleibenden Reisevorbereitungen hatten die Aufmerksamkeit Meisterin Cedaras und ihrer Schülerin so sehr in Anspruch genommen, dass die Stunde der Abreise viel rascher gekommen war, als es Kalliope recht sein konnte. Schon war die Sonne tief gesunken und fast hinter der charakteristischen Silhouette von Crescat verschwunden, Etheras Nachbarwelt, deren üppig grünende Gärten die Gildewelt mit Nahrung versorgten. Bei Einbruch der Dunkelheit würde das Schiff ablegen, um die günstigen Winde zu nutzen, die des Nachts vom Mahlstrom heraufzogen.
Um Aufsehen zu vermeiden, gab es keine große Verabschiedung. Jeden Tag verließen Dutzende von Gildeschwestern Ethera, um Schiffe in die Weiten des Sanktuarions zu führen, andere kehrten von ihren Missionen zurück. Es nahm also kaum jemand Notiz davon, dass eine Meisterin zusammen mit ihrer Schülerin den Gildepalast verließ – lediglich zwei einsame Gestalten warteten am Haupttor, von dem aus sich die Straße durch den Tempelbezirk wand. Von dort aus führte sie in engen Serpentinen hinab zum Hafen, wo sich die Landungsgitter der großen Segelschiffe befanden.
Die eine Gestalt war schlank und von jugendlichem Wuchs und hatte rotes Haar, das im Abendwind wehte. Die andere war älter und von hagerer Postur, und ihre dunkle, mit reichen Stickereien verzierte Robe kennzeichnete sie als Gildemeisterin ersten Ranges.
Kalliope hatte Mühe, einen Freudenschrei zu unterdrücken, als sie Prisca und ihre Meisterin Harona erkannte. Am liebsten wäre sie ihnen freudig entgegengeeilt. Der strenge Seitenblick, mit dem Meisterin Cedara sie bedachte, sagte ihr jedoch, dass dies mehr als unangebracht gewesen wäre. Eine Schwester der Gilde wahrte in der Öffentlichkeit stets Distanz. Wer die Distanz verlor, zeigte damit nur vor aller Augen, dass er auch sein inneres Gleichgewicht verloren hatte.
Kalliope widerstand der Versuchung. Gemessenen Schrittes näherten ihre Meisterin und sie sich den beiden Frauen, die sie mit derselben demonstrativen Gelassenheit erwarteten. Kalliope suchte Priscas Blick, doch die Freundin wich ihr aus und starrte zu Boden.
»Ich grüße Euch, Schwestern«, sagte Meisterin Harona, als sie einander endlich gegenüberstanden. Harona war einige Jahre jünger als Cedara und sah doch älter aus. Tiefe Furchen hatten sich in ihr von der Kapuze umrahmtes Gesicht gegraben, aus dem ein ernstes, eisfarbenes Augenpaar blickte.
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