Splitterwelten 01 - Zeichen
bemerkt, wie sie uns ansehen?«
»Ich habe es bemerkt.«
»Sobald wir ihnen den Rücken zuwenden, stecken sie die Köpfe zusammen und tuscheln über uns.«
»Sie tuscheln nicht über mich, mein Kind«, verbesserte Cedara mit nachsichtigem Lächeln und steckte das astrolabium in den ledernen Beutel zurück, den sie am Riemen über der Schulter trug, »sondern über dich. Der Schöpferin hat es gefallen, dich so zu gestalten, dass du in den Augen dieser rauen Gesellen Gefallen findest.«
»Eine entsetzliche Vorstellung«, sagte Kalliope schaudernd. »Wen mag es da verwundern, dass die Schwesternschaft auf männliche Gesellschaft verzichtet?«
»Jugend und Unerfahrenheit sprechen aus dir. Mit dem Alter wirst du erkennen, dass alles seinen Platz und seine Richtigkeit hat, selbst das männliche Geschlecht, so schwach und unvollkommen es auch sein mag.«
»In der Tat«, stimmte Kalliope zu. »Wie sonst wäre es zu erklären, dass es keine Levitaten hervorbringt?«
»Jeder trägt das Seine zum Gelingen der Welt bei«, erinnerte sie Cedara. »Nur so kann die Welt im Gleichgewicht erhalten werden.«
»Denkt Ihr das wirklich, Meisterin?« Kalliope hob zweifelnd die Brauen. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sehr viel leichter wäre, das Gleichgewicht zu wahren, wenn es keine Männer gäbe.«
»Damit magst du recht haben, Kind«, erwiderte Cedara, und es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Kalliope ihre Meisterin lauthals lachen hörte. »Aber ich fürchte, das Gleiche denken die Männer mitunter auch von uns.«
»Den Anker los!«, erklang in diesem Augenblick Kapitän Baramiros Befehl, und Cedara nahm ihren Platz auf dem Sitz der Levitatin ein, der sich an der Rückwand des Achterdecks befand. Kalliope blieb bei ihr für den Fall, dass sie etwas benötigte oder – was die Schöpferin verhindern mochte – sie dringend abgelöst werden musste.
Die Luftschiffer auf dem Vordeck betätigten die Ankerwinde, die schwere Kette wurde ratternd eingeholt. Gleichzeitig jagten Dutzende von Matrosen die Wanten hinauf, um auf den Befehl des Bootsmanns hin die Segel zu setzen.
»Hebt das Schiff!«, erging Baramiros Anweisung an Cedara, und einmal mehr verließ der Rumpf den felsigen Grund, auf dem er gelegen hatte, und stieg scheinbar schwerelos empor.
Bewundernd betrachtete Kalliope ihre Meisterin, deren Gesichtszüge völlig entspannt wirkten, fast so, als würde sie schlafen. Nichts deutete auf die ungeheure Last hin, die sie in diesem Moment mit ihrer Geisteskraft trug. Die Taue knarrten, als sie das Schiff in den Wind drehte. Schlagartig wurde es von einer Bö erfasst, und als würde sie zum Leben erwachen, sprang die Volanta in den leuchtend roten Abendhimmel.
Die Reise ging weiter – und unwillkürlich fragte sich Kalliope, was ihre Freundin Prisca in diesem Augenblick tun mochte, weit entfernt, auf Ethera …
»Nun, Schülerin?«
Prisca schlug blinzelnd die Augen auf – um ruckartig in die Höhe zu schnellen, als sie die Silhouette einer hageren, in einen Kapuzenmantel gehüllten Gestalt erblickte.
»Verzeiht, Meisterin«, sie verbeugte sich hastig, »ich hatte keine Ahnung, dass Ihr meiner Dienste noch bedürft. Ich dachte …«
»Was dachtest du?«, erkundigte sich Meisterin Harona. Sie schlug die Kapuze zurück, sodass ihr kahl rasierter Schädel sichtbar wurde. Von ihren Haaren, die in ihren Augen nichts waren als ein nutzloser Ausdruck menschlicher Eitelkeit, hatte sie sich schon vor langer Zeit getrennt. »Dass dein Tagwerk bereits getan sei? Eine Schwester der Gilde ist niemals unvorbereitet, Prisca. Und sie frönt auch nicht dem Müßiggang und schläft außerhalb ihrer Kammer.«
»I-ich habe nicht geschlafen, Meisterin«, beeilte sich die Schülerin zu versichern.
Haronas eisfarbene Augen bedachten zunächst Prisca und dann die steinerne Bank, auf der sie gesessen hatte, mit einem zweifelnden Blick. »Was dann, wenn es erlaubt ist zu fragen?«
»Ich … habe nachgedacht«, erklärte Prisca zögernd.
»Worüber?«
»Ich musste an Meisterin Cedara denken«, gestand Prisca offen. »Und an Kalliope. Sie sind nun vier Tage fort, und ich kann nicht …«
»Deine Freundin fehlt dir?«
»Ein wenig«, gab Prisca zu und knetete verlegen den Zopf, zu dem sie ihr rotes Haar geflochten hatte. »Immerhin haben wir dieselbe Kammer bewohnt, über eine sehr lange Zeit hinweg. Aber darum allein geht es nicht.«
Die Schärfe wich aus Haronas Blick, ihre schmalen, von Askese
Weitere Kostenlose Bücher