Splitterwelten 01 - Zeichen
war erhebend, und vielleicht hätte Kalliope ihren Widerstand gegen die Reise sogar irgendwann aufgegeben, wäre die Gesellschaft an Bord nicht so verabscheuungswürdig gewesen. Die Volanta mochte ein gutes Schiff sein – die Besatzung jedoch entstammte nach Kalliopes Empfinden dem Bodensatz der menschlichen Rasse.
Selten zuvor hatte die Gildeschülerin grobschlächtigere Gestalten gesehen als die Luftschiffer, die an Bord ihren Dienst versahen. Zwar waren wenigstens keine Animalen unter ihnen, doch ihre rohe Erscheinung, ihre schlechten Manieren und ihr strenger Geruch verrieten, dass sie von ähnlich geringer Herkunft und kaum weniger von Trieben gelenkt waren. Sobald Kalliope oder ihre Meisterin den Fuß auf das Oberdeck setzten, waren ihnen die Blicke der Kerle gewiss.
Kalliope hatte die meiste Zeit ihres Lebens auf Ethera verbracht, wo es abgesehen von den Luftschiffern, die hin und wieder anlandeten, den Hafen jedoch nicht verlassen durften, und den Eunuchen, die den Gildepalast und den Baum des Lebens bewachten, keine Männer gab – so wollte es der Codex. Wer in den Dienst der Gilde trat, sollte es mit Körper und Seele tun und sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe ganz und gar widmen. Für Zweisamkeit oder die Stillung primitiven Verlangens war im Leben einer Levitatin kein Platz. Entsprechend hatte Kalliope bislang kaum mit Vertretern des anderen Geschlechts zu tun gehabt; dennoch konnte sie sich ausmalen, was die Gafferei bedeutete.
In Meisterin Cedaras Gegenwart hielten sich die Männer noch zurück, da sie offenbar die Macht der Gildemeisterin fürchteten. Wandte sie ihnen jedoch den Rücken zu oder war Kalliope allein auf Deck, gab es Getuschel und schmutziges Gelächter, und die ungewaschenen Kerle machten kein Hehl mehr daraus, dass sie die Gildeschülerin lieber einer anderen Verwendung zugeführt hätten.
Kalliope seufzte. Es blieb ihr wohl nichts übrig, als es zu ertragen.
Es war früher Abend.
Den Tag über hatte die Volanta an einem namenlosen Inselsplitter festgemacht, nun war die Zeit zum Auslaufen gekommen. In ihrem Quartier, das sie sich mit ihrer Meisterin teilte, nahm Kalliope ein kurzes Nachtmahl ein, das aus Getreidebrei und getrockneten Früchten bestand. Dann ging sie nach draußen und enterte zum Achterdeck auf. Als sie den überdachten Ruderstand erreichte, war Meisterin Cedara bereits dort, zusammen mit Kapitän Baramiro und den beiden Steuermännern, die die Seiten- und Höhenruder bedienten.
Baramiro war ein hagerer Mann in den mittleren Jahren, mit wettergegerbtem Gesicht und schütterem Haupt, auf dem ein breitrandiger, von einer buschigen Feder geschmückter Hut ruhte. Anders als die Mannschaften an Bord schienen der Kapitän und seine Offiziere zumindest halbwegs kultiviert zu sein.
»Guten Abend, Gildeschülerin.« Er griff sich an die Hutkrempe. »Angenehm geruht?«
»Nicht unbedingt, Kapitän«, entgegnete Kalliope kühl. »Ich kann mich nicht recht daran gewöhnen, auf wankendem Boden zu schlafen, und die ständigen Geräusche lassen mich ebenfalls nicht zur Ruhe kommen.«
»Ihr werdet Euch daran gewöhnen. Die Volanta mag bisweilen knarren und ächzen, aber sie wird Euch sicher ans Ziel Eurer Reise bringen.«
»Danke für Euren Trost, Kapitän«, erwiderte Kalliope. »Aber ich denke, ob wir sicher reisen oder nicht, hängt doch in erster Linie an Meisterin Cedara und ihren Fertigkeiten, nicht wahr?«
Baramiros Züge verhärteten sich. »Wie Ihr meint, Gildeschülerin«, schnarrte er, dann wandte er sich von ihr ab und dem Kartentisch zu. Kalliope gesellte sich Meisterin Cedara zu, die an der Reling stand und einige Messungen mit ihrem astrolabium vornahm.
»Hältst du das für klug, mein Kind?«, erkundigte sie sich leise, während sie durch die Kimme des kreisrunden Geräts spähte und den Hochstern anvisierte, der bereits am Himmel zu sehen war. Sie benutzte die Gelehrtensprache, sodass die Luftschiffer sie nicht verstehen konnten.
»Was meint Ihr?«, fragte Kalliope zurück.
»Kapitän Baramiro ist ein Ehrenmann und ein Freund Etheras. Du solltest ihm nicht die Schuld daran geben, dass du lieber an einem anderen Ort weilen würdest.«
»Ist das denn so offenkundig?«
Cedara wandte ihren Blick. »Noch etwas offenkundiger, und ich würde mich fragen, wie es um deine Loyalität bestellt ist.«
»Verzeiht, Meisterin«, versicherte Kalliope erschrocken, »das war nicht meine Absicht. Es ist nur … all diese Männer an Bord. Habt Ihr nicht
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