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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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geformten Züge wurden ein wenig milder. »Erzähle mir, was dich bedrückt«, sagte sie, während sie sich selbst auf die Bank niederließ, die an der Westflanke des Gildepalasts stand, oberhalb der Gärten. Das Rauschen des Wassers, das sich entlang der Hänge sammelte, um dann in weißen Kaskaden über den Weltenrand zu stürzen, war in der Ferne zu hören. Sonnenlicht schimmerte sanft durch die ausladenden Kronen der Zedern, die kühlen Halbschatten spendeten, Blütenflügler und Buntfliegen schwirrten in der lauen Luft. Früher hatte Prisca all dies als Inbegriff des Friedens empfunden und sich wie ein Lamm daran geweidet. Seit einigen Tagen jedoch konnte sie das nicht mehr.
    Seit vier Tagen, um genau zu sein.
    Sie setzte sich zu ihrer Meisterin, deren dunkle Robe in hartem Kontrast zu ihrer hellen Schülertracht stand. »Ich hätte noch mit Kalliope sprechen sollen«, sagte sie leise.
    »Nein«, versicherte die Meisterin. »Die Worte hätten euch nur noch größeren Schmerz zugefügt, und Schmerz gefährdet das innere Gleichgewicht.«
    »Das weiß ich, Meisterin«, versicherte Prisca.
    »Du solltest Kalliope rasch vergessen.« Haronas Tonfall verriet, dass dies nicht nur ein gut gemeinter Ratschlag war. »Ohnehin ist sie kein günstiger Einfluss für dich gewesen.«
    »Wie … meint Ihr das?«, fragte Prisca verstört.
    »Bis zu einem gewissen Alter ist es für eine Gildeschülerin hilfreich, dass sie nicht allein ist, dass sie ihre Sorgen und Freuden teilen kann – dies ist der Grund dafür, dass wir nach dem Codex in jungen Jahren eine Schwester im Geiste und in der Tat haben sollen. Im Leben jeder Levitatin kommt jedoch der Augenblick, da sie sich von ihrer Schwester lösen muss, denn nur so kann sie die ihr innewohnenden Kräfte entfalten. Dieser Zeitpunkt war längst gekommen.«
    Prisca sah ihre Meisterin unsicher an. »Ihr … Ihr seid der Ansicht, dass Kalliope meiner Entwicklung abträglich war?«
    Harona schüttelte das haarlose Haupt. »Es ist kein Geheimnis, dass Meisterin Cedara und ich unterschiedlicher Ansicht sind, was die Unterweisung unserer Schülerinnen angeht. Ich habe mich nie dazu geäußert, weil es mir fern liegt, Kritik an einer anderen numerata zu üben. Doch ich verhehle nicht, dass ich Kalliopes Abwesenheit nicht bedaure. Denn nun erst, Prisca, wirst du in der Lage sein, deine wahren Fähigkeiten zu entdecken.«
    Prisca sandte ihr einen zweifelnden Blick. »Mir ist, als hätte zusammen mit Kalliope auch der beste Teil von mir Ethera verlassen.«
    »Was für ein Unsinn!« Haronas schmale Brauen zogen sich finster zusammen. »Wer dies sagt, ist naiv und unwissend und hat keine Ahnung, wie bedeutend die Kräfte sind, die uns innewohnen!«
    »Denkt Ihr?«, fragte Prisca, erschrocken über den plötzlichen Ausbruch.
    »Ich weiß , dass es so ist«, verbesserte ihre Meisterin mit fast beschwörendem Tonfall. »Nicht von ungefähr habe ich dich und keine andere zur Schülerin gewählt – weil ich von Beginn an gefühlt habe, dass bedeutende Fähigkeiten in dir schlummern.«
    »Meisterin, ich danke Euch«, entgegnete Prisca ein wenig beschämt, »ich wagte nicht zu hoffen, dass Ihr eine solch hohe Meinung von mir habt.«
    »Dennoch kannst du nicht von der Vergangenheit lassen.«
    »Ich versuche es, aber es ist nicht einfach. Kalliope und ich sind verwandte Seelen gewesen, zwei Seiten derselben Münze. Wir haben nicht nur unsere Kammer geteilt, sondern auch unsere geheimen Sorgen und Gedanken …«
    »… und womöglich auch manches andere«, fügte Harona hinzu. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, entsprechend entsetzt war der Blick, mit dem Prisca ihre Meisterin bedachte. »Ich höre dich reden«, fügte die Gildemeisterin hinzu, »und erlaube mir, meine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen.«
    Hilfe suchend starrte Prisca in die Züge ihrer Meisterin, die jedoch so hart und reglos waren, als wären sie aus Stein gemeißelt. Auch der Blick ihrer Augen ließ erahnen, dass leugnen keinen Zweck haben würde. Priscas einzige Chance bestand darin, um Vergebung zu bitten, hier und jetzt.
    Tränen stürzten in ihre Augen, Reue erfüllte sie, gepaart mit unsäglicher Furcht. Unvermittelt sprang sie auf und warf sich vor ihrer Meisterin zu Boden, die Arme schlang sie um ihre Beine.
    »Vergebt mir«, flehte sie mit wimmernder Stimme. »Ich bin so schrecklich dumm gewesen.«
    »Schrecklich dumm, in der Tat«, stimmte die Gildeschwester erbarmungslos zu. »Und du hast versucht, mich

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