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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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würde. Wie es hieß, trieben Piratenbanden in dieser Gegend ihr Unwesen, Eulengesichtige und andere Chimären, die in der Lage waren, bei Dunkelheit zu sehen und deshalb für jedes Schiff eine Gefahr darstellten. Zwar stellte die Volanta aufgrund ihrer Größe und Bewaffnung kein leichtes Opfer dar, doch hatte Kapitän Baramiro kein unnötiges Risiko eingehen wollen.
    »Nun?«, erkundigte sich Meisterin Cedara, während sie unter dem niedrigen Türsturz hindurch in die Kajüte trat. »Hast du die Texte studiert, die ich dir aufgegeben habe?«
    Kalliope half ihr dabei, den Umhang abzulegen. »Ja, Meisterin«, bestätigte sie mit einem Blick, der scheinbar dem Folianten galt, der aufgeschlagen auf dem Tisch lag – in Wahrheit spähte sie nach dem Schal und dem Gegenstand, der sich verräterisch darunter abzeichnete.
    »Und? Wie weit bist du in Auroras sapientiae vorgedrungen?« Cedara trat an die Tischplatte, die an Kettensträngen von der Decke hing, sodass sie den Schwankungen des Schiffes zu trotzen vermochte. Im Schein der vier Kerzen, deren eiserne Leuchter in die Kettenglieder eingehängt waren, betrachtete die Gildeschwester die aufgeschlagenen Seiten. »Du bist schon zum dritten Kapitel vorgedrungen?«, fragte sie.
    »Ja, Meisterin.« Kalliope nickte.
    Cedara lächelte, ob aus Erstaunen oder Bewunderung, war nicht festzustellen. »So wirst du sicher in der Lage sein, mir einige Fragen zu beantworten.« Sie griff nach dem Buch, um einige Seiten zurückzublättern.
    »Nach bestem Wissen«, entgegnete Kalliope bereitwillig, während sie nervös von einem Bein auf das andere trat. Der Foliant lag nur wenige Handbreit neben dem vom Schal bedeckten Stundenglas. Wenn Cedara dagegen stieß …
    »So sage mir, worin nach Aurora die größten Gefahren für die Weisheit bestehen«, verlangte Cedara zu wissen und bedachte sie mit einem prüfenden Blick. »Wenn du den Text gelesen hast, wie du sagst, sollte es dir nicht schwerfallen zu antworten.«
    Cedara hatte das Buch angehoben und dabei das Stundenglas unter dem Schal berührt. Es wackelte bedenklich, fiel aber nicht vom Tisch, und die Meisterin hatte es offenbar auch nicht bemerkt.
    »Aurora von Amara ist eine der geistigen Urmütter unseres Ordens«, erwiderte Kalliope. »Obschon sie noch lange vor den primae lebte, gilt sie als Vordenkerin der Gilde und hat mit ihren Werken die Grundlage für die moderne Metasophie geschaffen.«
    »Sehr gut«, anerkannte Cedara, »allerdings war das nicht meine Frage …«
    »Den Thesen Auroras zufolge kennt die Weisheit fünf Feinde«, fuhr Kalliope ohne Zögern fort, »nämlich die Gier, die Furcht, das Unwissen, den Zweifel und die L…«
    Das letzte Wort blieb ihr förmlich im Halse stecken, denn noch während sie sprach, drehte Cedara sich um, griff mit einer ebenso raschen wie unvermuteten Bewegung nach dem Schal – und zog ihn weg. Darunter kam das Stundenglas zum Vorschein.
    »Was ist das?«, wollte sie wissen.
    Kalliope bedachte zuerst ihre Lehrerin, dann die Sanduhr mit einem entsetzten Blick. »Ein Geschenk«, flüsterte sie atemlos.
    »Von wem?«
    Kalliope biss sich auf die Lippen.
    »Ich warte«, drängte Cedara, und wieder nahmen ihre dunklen Augen jenen strengen Ausdruck an. »Glaubst du wirklich, du könntest etwas vor mir verbergen? Ich kenne dich gut, mein Kind, wahrscheinlich besser, als du dich selbst kennst. Kaum dass ich die Kajüte betreten hatte, wusste ich, dass du etwas vor mir verbirgst. Deine Blicke haben dich verraten.«
    Hätte ihre Stimme nur wütend oder anklagend geklungen, hätte Kalliope es noch ertragen. Die Enttäuschung, die darin mitschwang, machte Cedaras Worte jedoch zur Qual.
    »Seit wir Ethera verlassen haben, erkenne ich dich kaum wieder. Es ist, als hätte eine andere Schülerin die Gildewelt mit mir verlassen.«
    Kalliope schluckte sichtbar. Am liebsten hätte sie erwidert, dass auch sie ihre Meisterin kaum wiedererkannte, aber das wagte sie nicht. Vielleicht, sagte sie sich, lag es ja tatsächlich an ihr, an ihrer törichten Furcht …
    »Ich wollte Euch nicht täuschen, Meisterin«, versicherte sie kleinlaut.
    »Warum hast du es dann getan?«
    »Weil ich Euch nicht beunruhigen wollte. Meisterin Audra sagte, dass es mit dem Stundenglas eine besondere Bewandtnis hätte, und bei allem, was Euch beschäftigte, wollte ich Euch nicht noch zusätzlich damit belasten.«
    »Das verstehe ich. Doch seit unserer Abreise ist einige Zeit vergangen. Inzwischen hätte es viele Gelegenheiten

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