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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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»Als hätte ich nichts Besseres zu tun, als hier zu warten. Die Sonne ist aufgegangen, und je länger wir warten, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie uns erwischen!«
    »Du-du-du stinkst«, stellte Kieron trotz seiner Erschöpfung fest. Der Geruch, der dem Chamäleoniden anhaftete, war nur schwer zu ertragen.
    »Ich stinke?« Jago schnappte nach Luft. »Du würdest auch stinken, wenn dich der Katzmann dazu gezwungen hätte, durch einen Latrinenabfluss zu klettern und das Gitter dieses Schachts zu öffnen! Noch dazu für einen Sklaven.«
    Erschöpft, wie er war, nahm Kieron das Lamento des Wirtshausbesitzers nur am Rande wahr. Das Licht der aufgehenden Sonne blendete ihn, und er schloss instinktiv die Augen. Als er sie blinzelnd wieder öffnete, blickte er in gähnende Tiefe! Ein Schrei entfuhr ihm, der von einigen Urwaldvögeln beantwortet wurde. Panisch klammerte sich Kieron am Rand der Öffnung ein, die in der senkrecht abfallenden Außenmauer des Mercatorenpalasts klaffte.
    »Gefällt dir die Aussicht nicht?«, fragte Jago hämisch, der vor der Öffnung hin- und herbaumelte, die Beine und den Schwanz um die Sprossen einer Strickleiter geschlungen, die von oben herab hing. Woran sie befestigt war, konnte Kieron im hellen Sonnenlicht nicht erkennen, aber über der Öffnung schien sich etwas zu bewegen. Etwas Großes, Massiges …
    »Komm schon, oder willst du hier festwachsen?« Flink kletterte der Chamäleonide an der Leiter empor. Kieron griff zweimal daneben, ehe er die unterste Sprosse zu fassen bekam. Unter Aufbietungs seiner allerletzten Kräfte stieg er aus dem Schacht und setzte den Fuß auf die Leiter. Mühsam zog er sich empor.
    Nun, da er die Öffnung von außen sah, erkannte er, worum es sich handelte – um einen der Lüftungsschächte, von denen die Häuser Shantanpurs durchzogen waren, damit das Holz im Inneren des Baumes nicht faulte. Und als ein dunkler Schatten auf ihn fiel und er den Blick hob, begriff Kieron auch, wie es seine beiden Retter geschafft hatten, an den Schacht heranzukommen, obschon er sich in luftiger Höhe befand. Denn über der Öffnung, die langen Klauen tief in die Rinde des Shantik-Baumes gekrallt, hing ein Flugdrache.
    Den Schwanz hatte er eingerollt und das Flügelpaar dicht an den walzenförmigen Körper gelegt. Die braun gemusterte Haut war gegen den Baum kaum auszumachen, nur das gewaltige grüne Haupt hob sich deutlich sichtbar ab. Der lange Schwanz des Tieres lag in einem bizarren Zickzackmuster an der Rinde an.
    »Du kannst den Mund wieder schließen, Junge«, knurrte Croy, der Kieron kurzerhand überholte, indem er am Baum emporkletterte und den Drachen sogar noch vor Jago erreichte. Mit geschmeidigen Bewegungen stieg er in den Sattel und fasste die Zügel des Tieres, das den Kopf zurückwarf und mit einem heiseren Laut zu verstehen gab, dass es bereit sei.
    Auch Jago und Kieron beeilten sich, den Sattel zu erreichen, der auf den schlanken Rücken der Flugechse geschnallt war. Schon unzählige Male hatte Kieron die majestätischen Tiere durch die Lüfte gleiten sehen, doch dies war das erste Mal, dass er selbst auf einem Platz nahm. Hoch über den Baumwipfeln Shantanpurs in einen Sattel zu steigen, der an einem riesigen, sich senkrecht an einen Baum klammernden Tier festgemacht war, behagte Kieron zwar nicht, aber er erinnerte sich an den Schwur, den er in der Einsamkeit seiner Zelle geleistet hatte, vor, so kam es ihm wenigstens vor, undenklich langer Zeit.
    »Lass uns endlich verschwinden«, drängte Jago. »Das alles hat ohnehin schon viel zu lange gedauert. Ganz abgesehen von dem Vermögen, das ich für dieses blöde Vieh bezahlt habe! Die Einnahmen des letzten halben Zyklus sind dafür draufgegangen!«
    »I-i-ihr habt mich gerettet«, stieß Kieron hervor, »b-b-beide.« Atemlos erklomm er hinter dem Chamäleoniden den Sattel und schlüpfte in das lederne Gurtzeug.
    »Ja, b-b-beide«, rief Jago über die Schulter zurück. »Auch wenn ich mich frage, warum ich das tue.«
    »Trotzdem da-danke.«
    »Glaub nicht, dass ich es deinetwegen getan habe«, wandte der Chamäleonide ein. »Außerdem stinkst du nicht weniger als iiii…«
    Das letzte Wort ging in einen langgezogenen Schrei über, als der Flugdrache seine Rippenknochen spreizte, um die beiden halbkreisförmigen Flügel auszubreiten – und sich im nächsten Moment von der Wand abstieß, sich in der Luft herumwarf und in einer steilen Abwärtsbewegung davonschoss.
    Die Geschwindigkeit war atemberaubend.

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