Splitterwelten 01 - Zeichen
gegeben, mir davon zu berichten.«
»Das ist wahr«, musste Kalliope zugeben.
»Dennoch hast du es unterlassen, und ich frage mich, warum. Ist dein persönlicher Bezug zu diesem Ding so stark?« Cedara griff nach der Sanduhr und betrachtete sie. »Hast du vergessen, was im Codex geschrieben steht?«
»Nein, Meisterin«, versicherte Kalliope rasch, obwohl sie in dem Augenblick, da Cedara das Stundenglas in ihren Händen hielt, eine Aufwallung von Eifersucht spürte. »Es ist nur … Meisterin Audra sagte mir etwas, als sie mir das Stundenglas gab.«
Cedara hörte auf, die Sanduhr in ihren Händen zu drehen. »Und das wäre?«, fragte sie mit forschendem Blick.
»Dass das Glas in den alten Tagen dazu benutzt worden sei, die Zeit zu messen.«
»Und?«
»Nun«, brachte Kalliope hervor, »ich habe mich gefragt, warum das heute nicht mehr der Fall ist.«
»Ist das alles?«
»Und sie sagte auch, dass mich die Sanduhr zu neuen Erkenntnissen führen könnte«, fügte Kalliope nach kurzem Zögern hinzu, »aber ich weiß nicht, was sie damit gemeint hat.«
Cedaras Augen verengten sich zu Schlitzen, durch die sie ihre Schülerin einen endlos scheinenden Augenblick lang betrachtete. Kalliope, die fürchtete, ihre Meisterin könnte schrecklich zornig werden, wich furchtsam zurück, doch Cedara bewahrte Ruhe. »Nun gut«, sagte sie mit mühsam beherrschter Stimme. »Hat Meisterin Audra auch gesagt, dass es nicht von ungefähr keine Stundengläser mehr gibt? Dass es verboten ist, einen solchen Gegenstand zu besitzen? Dass du alles gefährdest, indem du ihn aufbewahrst? Die Schwesternschaft, deine Freiheit, sogar dein Leben?«
»N-nein«, erwiderte Kalliope erschrocken, »das hat sie nicht.«
»So dachte ich es mir.« Cedara nickte. Mit einer entschlossenen Handbewegung ließ sie die Sanduhr in den weiten Falten ihres Gewandes verschwinden.
»Was habt Ihr damit vor?«, fragte Kalliope.
»Es über Bord werfen, ehe es hier gefunden wird. Kannst du dir vorstellen, was in einem solchen Fall geschehen würde?«
»Nein«, gab Kalliope zu.
»Natürlich nicht, weil du ein törichtes Kind bist und nichts weißt von der Welt, in der du …« Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf, dann schloss sie die Augen, um sich zu sammeln. »Ich rate dir, Meisterin Audras Geschenk so rasch wie möglich zu vergessen. Es hat sich nie in deinem Besitz befunden, und ich habe es dir auch niemals abgenommen. Hast du verstanden?«
»Natürlich«, beteuerte Kalliope gegen ihren Willen. Natürlich war Meisterin Audra seltsam und verschroben, aber dass sie eine Gildeschülerin bewusst einer solchen Gefahr aussetzte, war dennoch nur schwer vorstellbar. »Vielleicht hat Meisterin Audra nichts von diesen Dingen gewusst«, wandte sie vorsichtig ein.
»Sie wusste es.«
»Warum seid Ihr so sicher?«
»Audra war einst eine numerata , genau wie ich. Das war, bevor sie sich entschloss, ihren eigenen Weg zu gehen und sich von der Gemeinschaft abzusondern.«
»Aber sie sagte, dass …«
»Hörst du mir nicht zu?«, herrschte Cedara sie so unvermittelt an, dass Kalliope zusammenzuckte. »Audra ist alt und schwach! Sie hat den Verstand verloren!«
Kalliopes Entsetzen war ehrlich. Noch nie zuvor hatte sie ihre Meisterin derart abfällig von einer anderen Schwester sprechen hören. »W-woher wollt Ihr das wissen?«, fragte sie stammelnd.
»Ich muss es wissen«, erwiderte Cedara leise, »denn sie ist einst meine Meisterin gewesen.«
15. Kapitel
Ardath Durandor war König.
Mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der andere Menschen Handwerker waren.
Oder Soldaten.
Oder Bettler.
Weder hatte er je darum gebeten, König zu sein, noch hatte er sich in irgendeiner Weise darum bemühen müssen. Die Krone war auf ihn übergegangen, so wie sie zuvor auf seinen Vater Nordath übergegangen war. Nordath Durandor der Große, wie er gemeinhin genannt wurde. Unter seiner Herrschaft, die mehr als fünfzig Zyklen gewährt hatte, war Tridentia zu einer bedeutenden Macht geworden, zu einer Hochburg der Kultur und des Handels, deren Lehenswelten sich bis an den Rand des Sanktuarions erstreckten.
Eine lange Zeit des Krieges war nötig gewesen, um einen Machtraum dieser Größe zu formen, und es hatte weiterer fünfzehn Zyklen bedurft, um aus einer losen Menge eroberter Welten ein zusammenhängendes Reich zu schmieden. Als Nordath schließlich starb, übergab er seinem Sohn eine gefestigte Herrschaft, ein Königtum, das an der Spitze einer Vielzahl von
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