Sportreporter
den Fernseher, schlief in ihrem Bett und kippte Katzendreck in alle ihre Schubladen. Aber meine Empfindungen waren anders. Wir können unser Unglück auch übertreiben.
Seit meiner Zeit im Marine-Corps (ich war nur ein halbes Jahr dabei) bin ich ein Frühaufsteher und habe gleich morgens meine besten Einfälle. Ich lag immer nervös und hellwach in meiner Koje, wartete auf das Signal zum Wecken und zermarterte mir das Gehirn mit Überlegungen, was ich an dem Tag besser machen und wie ich erreichen konnte, daß man im Marine-Corps aufmerkte und stolz auf mich war; ich wollte vermeiden, ein Opfer der Ängste und Ungereimtheiten zu werden, mit denen die anderen Offiziersanwärter kämpften, wollte rasch aufsteigen und dann helfen, das Leben meiner Männer zu schützen, wenn wir erst mal drüben in Vietnam stationiert waren, wo sie wahrscheinlich viel bedrücken würde (zum Beispiel die Angst, in Stücke gerissen zu werden). Ich hatte den Vorteil einer höheren Bildung, sagte ich mir, und ich würde ihnen über das hinaus, was sie sehen und hören konnten, Auge und Ohr sein müssen. Ich war natürlich ein Idiot, aber wir irren uns fast immer, wenn wir jung sind.
Bevor die Nacht einem strahlenden Ostertag weicht, würde ich gern, während ich so daliege, einige brauchbare Gedanken über Herb zusammenstellen, nur ein, zwei Details als Magnet für das, was mir in den nächsten Tagen einfallen wird, denn auf die Weise entstehen gute Sportreportagen. Es kommt fast nie vor, daß du dich einfach hinsetzt, um drauflos zu schreiben, daß du auf ein leeres gelbes Blatt Papier starrst und dir vornimmst, sofort jede gute Idee aufzuschreiben, die dir in den Sinn kommt. Eine solche Situation kann einem fürchterlich angst machen. Du versuchst vielmehr, auf deine zufälligen Eingebungen zu setzen, dich gleichsam selbst zu überrumpeln und einen Satz oder ein überraschendes Bild aufzuschreiben – wie eines Tages die Luft roch oder wie der Wind mit der Oberfläche des Sees sein seltsames Spiel trieb –, und aus so einem Satz könnte später zwangsläufig eine Geschichte werden. Sind diese Notizen aufgezeichnet, legst du sie weg und läßt sie ihre eigene Gliederung finden, die du später entdecken kannst, wenn du dein Material sichtest, weil der Ablieferungstermin näher rückt und du dich ans Schreiben machen mußt.
Herb ist jedoch eine harte Nuß, denn er ist offensichtlich so entfremdet wie Camus. Es wäre hilfreich gewesen, wenn ich eine Wahrnehmung festgehalten oder ein Zitat aufgeschrieben hätte, aber zu dem Zeitpunkt wußte ich so wenig, was ich sagen und schreiben sollte, wie ich es jetzt weiß. Wie die Luft roch oder der Wind sich drehte, oder welcher Song im Radio lief, als wir hinausfuhren, scheint keine Rolle zu spielen. Einfache, klare Aussagesätze kommen dem großen Herb nicht gerade in Scharen zu Hilfe. Alles ist gedämpft, konjunktivisch und bedingt. Herb Wallagher nimmt jetzt die Zukunft ins Visier (zumindest bis die Wirkung seiner Stabilisationspillen nachläßt). Herb Wallagher hat das Leben von beiden Seiten kennengelernt (und hält von beiden nicht viel). Es wäre für Herb Wallagher einfach, das Leben pessimistisch zu sehen (hätte er nicht schon einen Sparren zuviel).
Die auch in meinem Gewerbe tätigen Spezialisten für billige Dramen würden mit Herb natürlich kurzen Prozeß machen. Sie sind Experten im Ausschnüffeln von Versagern: Sie machen abfällige Anspielungen auf die Beine eines Boxers, wenn er über dreißig ist und endlich den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hat; sie berichten just in dem Moment von den steifen Handgelenken eines Schlägers, wenn der gelernt hat, die Bälle flach zu halten und so seinen Mannschaftskameraden das Vorrücken zu ermöglichen. Sie sehen im Sieg nur den Keim der Niederlage, Korruptheit in allem menschlichen Bestreben.
Sportreporter sind manchmal verdammt schlechte Menschen und schaffen ein Leben voller Lügen und falscher Tragödien. In Herbs Fall würden sie ein mit dem Fischaugenobjektiv aufgenommenes körniges Schwarzweißbild von Herb in seinem Rollstuhl bestellen, wo er in seinem BIONIC -Hemd und seinen Laufschuhen wie ein eingesperrter Kinderverführer aussehen würde; um die richtige »Würze« zu bekommen, würden sie einiges von seiner miesen Wohngegend mit aufs Bild nehmen; irgendwo in den Hintergrund würden sie Clarice stellen, abgehärmt und verlassen wie eine herrenlose Sklavin aus der trockenen Wüste, und dann als Aufhänger schreiben: »Quo
Weitere Kostenlose Bücher