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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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umbringen.« Und dann schlief er wieder ein. Und X und ich sahen einander nur an und lachten. Es ist wahr, wir lachten und lachten, bis uns die Tränen kamen. Nicht aus Angst oder Kummer. Was sollten wir denn sonst tun, müssen wir uns wohl gedacht haben und uns dann einig gewesen sein, daß Gelächter zu diesem Zeitpunkt völlig in Ordnung war. Niemand würde etwas dagegen haben. Es ging auf niemandes Kosten, und niemand außer uns beiden würde es hören – nicht einmal Ralph. Es mag gefühllos scheinen, aber es ging nur uns etwas an, und wer wollte sich in einer so vertraulichen Sache zum Richter aufschwingen? Es war einer unserer letzten Momente ungetrübter Zärtlichkeit in der Welt.
    Ich vermute allerdings, daß diese Rückbesinnung auf einen schmerzlichen Verlust auch den armen Walter einschließt, so widersinnig und zweifelsfrei tot wie mein Sohn und ebenso absurd. Ich habe versucht, nicht daran teilzuhaben. Aber warum sollte ich das nicht? Wir alle verdienen das Mitgefühl der Menschheit, ihren Kummer. Und vielleicht nie so sehr, wie wenn wir über die gewohnten Horizonte hinausgehen und nicht mehr zurückkommen können.
    In X’ Haus geht keiner ans Telefon. Vielleicht bringt sie die Kinder gerade zu irgendwelchen Freunden. Steht uns wieder mal eine offene Aussprache bevor, frage ich mich. Werde ich weitere unglückselige Neuigkeiten zu hören bekommen? Wird Fincher Barksdale Dusty verlassen, um mit X die Nerzfarm in Memphis noch größer aufzuziehen? Wie dünn ist der Faden, an dem das ganze Gleichgewicht hängt?
    Ich hinterlasse die Nachricht, daß ich bald vorbeikommen werde, und mache mich dann auf den Weg zur Polizei, um mir Walter anzusehen, hoffe jedoch, daß ein verantwortungsbewußter Bürger – vielleicht einer der »Geschiedenen Männer« mit der Möglichkeit, den Polizeifunk mitzuhören – von sich aus hingegangen ist und mir diesen Dienst abgenommen hat.
    Die Polizeiwache befindet sich in dem neuen Rathaus aus Backstein und Glas, das an die Ausstellungsräume eines Autohändlers erinnert und in dem ich die zu Herzen gehenden Tage meines Scheidungsverfahrens gut überstand. Das Gebäude liegt in der Nähe einer Wohngegend mit ein paar unserer schöneren älteren Villen, und bis auf die hellerleuchteten kleinen Räume auf der Rückseite, wo die Polizei haust, ist es um diese Stunde geschlossen. Von außen, wo man sich auf einer kreisförmigen Einfahrt nähert, haben die letzten schläfrigen Stunden des Osterfestes den standhaft-eisernen republikanischen Eindruck abgeschwächt. Aber es bleibt für mich ein Haus voller Risiken, das ich jedesmal mit großem Unbehagen betrete.
    Wie sich herausstellt, ist Sergeant Benivalle doch noch im Dienst, als ich mich bei dem Schalterbeamten melde, einem jungen, italienisch aussehenden Burschen mit Bürstenschnitt und einer gewaltigen Pistole; auf seinem goldenen Namensschild steht PATRIARCA . Er ist anscheinend in einer läppischen Stimmung, und sein verstohlenes Lächeln läßt darauf schließen, daß schon den ganzen Tag einige nicht ganz salonfähige Witze die Runde machen und daß er mich, wären wir auch nur ein klein wenig befreundet, in die spaßige Geschichte einweihen würde. Ich bin jedoch, trotz meines Lächelns, nicht zu Witzen aufgelegt, und so macht er sich, nachdem er meinen Namen notiert hat, auf die Suche nach Benivalle.
    Ich setze mich auf die für die Öffentlichkeit bestimmte Bank neben einem großen gerahmten Stadtplan, atme den Scheuerlappengeruch aller Wartezimmer ein, lege die Ellbogen auf die Knie und spähe durch die Glastüren und die Eingangshalle hinaus auf den Rasen mit den Ulmen und Ginkgos und Eschenahornen. Draußen ist jetzt alles in Mandellicht getaucht, und in einer Stunde wird eine verträumte, himmlische Finsternis wiederkehren und ein weiterer Tag sein Ende finden. Und was für ein Tag! Ganz und gar kein typischer. Und doch endet er so sanft, in einer so samtenen und federleichten Stille wie jeder andere. Der Tod verträgt sich nicht mit dieser Umgebung, und alle Einflüsse hier – ob öffentlich oder privat – wirken in diesem Sinn zusammen und sagen: Es ist nur ein Irrtum, ein dummes Gerücht, das man vergessen sollte. Nichts ist passiert. Das hier ist nicht der Ort, an dem man stirbt und damit Aufsehen erregt, aber es läßt sich hier, alles in allem, gut leben.
    Zwei Radfahrer gleiten lautlos durch mein Blickfeld. Vorn ein Mann, eine Frau dahinter; ein Kind in einem sicheren Kindersitz, eng an Papa gegurtet. Alle

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