Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
Vom Netzwerk:
große Schmutzflecke aussehen. Ein einzelner Polizist steht da und behält sie im Auge und überlegt bereits, was aus ihnen werden soll. Vicki, die Wange an meiner Schulter gelehnt, drückt meinen Arm, als ich die zwei Koffer hochhebe. Ihrer, aus buntkariertem Segeltuch, ist federleicht; meiner, gefüllt mit den Utensilien eines Sportreporters, wiegt eine Tonne.
    Und in diesem Augenblick des Aufbruchs empfinde ich genau – ja, was eigentlich?
    Mindestens hundert Dinge zugleich, die alle darum kämpfen, sich des Augenblicks zu bemächtigen und ihn zu besetzen, das undramatische Leben auf einen festen, erkennbaren Kern zu reduzieren.
    Es ist natürlich eine zwar unbedeutende, aber schädliche Lüge der Literatur, daß wir in solchen Momenten, nach wichtigen oder enttäuschenden Enthüllungen, bei Ankünften oder Abreisen von offenkundiger Wichtigkeit, wenn Tore geschossen, K. o.-Schläge verzeichnet, geliebte Menschen begraben, Orgasmen erreicht werden, daß wir alle in solchen Momenten völlig in einem Gefühl stecken, daß wir in uns selber sind und nicht in der Lage, andere Gefühle zu entdecken, die wir vielleicht auch noch haben oder gleich haben werden oder lieber haben. Wenn es die Aufgabe der Literatur ist, die Wahrheit über solche Momente zu sagen, dann scheitert sie meistens daran, finde ich, und es ist die Schuld des Schriftstellers, der sich solche Konventionen zu eigen macht. (Ich habe das alles meinen Studenten am Berkshire College zu erklären versucht und dabei Joyces Epiphanien als ein gutes Beispiel der Falschheit angeführt. Aber keiner von ihnen begriff auch nur im entferntesten, wovon ich redete, und ich gewann die Überzeugung, daß sie, wenn sie nicht das meiste von dem, was ich ihnen sagen wollte, schon vorher wußten, ohnehin verloren waren – ein ganz guter Grund, den Lehrerjob an den Nagel zu hängen.)
    Was ich in Wahrheit empfinde, während ich diese zwei Koffer aus der Nässe hole und unser blauer Bus ächzend und rumpelnd anfährt, den anderen Hotels auf seiner Route entgegen, und Hotelpagen hinter dicken Scheiben darauf lauern, uns ihre Dienste zu verkaufen, was ich also in diesem Moment empfinde, ist mit einem Wort gesagt: eine Störung . Als ob ich etwas preisgebe, das verehrungswürdig ist, das diese Preisgabe aber nötig hat. Ich spüre, daß mein Puls schneller geht. Ich habe stark das Gefühl, daß Unheil droht (die moderne Erfahrung des Angenehmen, gepaart mit der Gewißheit, daß es enden wird). Ich habe das Gefühl, daß ich absolut keine ethischen Grundsätze und nur wenig Konsequenz besitze. Ich ahne die Möglichkeit furchtbaren Schmerzes in der ungestümen Luft. Ich spüre das Bedürfnis, mich plötzlich jemandem anzuvertrauen (wenn auch nicht Vicki oder sonst jemandem, den ich kenne). Ich fühle mich so nüchtern, wie ich mich je gefühlt habe – gestrandet und unkompliziert wie ein Einwanderer. All das empfinde ich gleichzeitig. Und ich verspüre den Drang – den ich unterdrücke –, aus all diesen und weiteren Gründen zu weinen, wie ein Mann weinen würde.
    Das ist die Wahrheit über meine Gefühle und Gedanken. Weniger oder etwas anderes zu erwarten ist idiotisch. Schlechte Sportreporter fragen immer nach solchen Dingen, aber sie wollen nie die Wahrheit wissen, haben in ihren Artikeln keinen Platz dafür. Sportler denken und fühlen in wichtigen Augenblicken wahrscheinlich am wenigsten von allen – dafür sorgt schon ihr Training –, obwohl man sich selbst bei ihnen darauf verlassen kann, daß sie zu einem gegebenen Zeitpunkt mehr als eine Sache im Kopf haben.
    »Ich trag meinen Koffer selbst«, sagt Vicki, wie ein Schatten an mich gedrückt, und kämpft mit einer letzten Träne des Ankunftsglücks. »Er wiegt nicht mehr als ein Staubwedel.«
    »Du tust ab sofort nichts anderes mehr, als dich zu amüsieren«, sage ich und setze mich mit beiden Koffern in Bewegung. »Ich will dich nur noch lächeln sehen.«
    Und sie strahlt mich mit einem breiten Lächeln an, so breit wie ganz Texas. »Also wirklich, ich bin doch kein großes Tier«, sagt sie, während die pneumatischen Hoteltüren zur Seite gleiten. »Ich trage mein Zeug immer selber.«
    Es wird halb fünf, bis wir in unser Zimmer kommen, ein sauberes Rechteck, ausgestattet mit dem protzigen Pseudo-Luxus des mittleren Westens – da sind ein Körbchen mit kunstvoll arrangiertem Obst, eine Flasche inländischen Sekts, blaue Kornblumen in einer chinesischen Vase, rote Textiltapeten im besten Bordellstil und ein

Weitere Kostenlose Bücher