Sportreporter
Fabrik entlassen wollte, könnte ich noch hundert Jahre genauso leben wie jetzt. Ohne aus dem Haus zu gehen. Ohne von meinem Stuhl aufzustehen! Ich bin als Reuther-Mann groß geworden, das weißt du, Frank. Und das bleibe ich. Es sind diese Gangster in Washington. Alle miteinander. Alles hundsgemeine Verbrecher, die wollen mich fertigmachen. Ich soll raus aus dem Geschäft mit den Dichtungsringen. Was gibt’s eigentlich zu Hause? Bist du immer noch geschieden?«
»Es geht bestens, Henry. Heute ist Ralphs Geburtstag.«
»Tatsächlich?« Ich weiß, Henry redet nicht gern darüber, aber für mich ist es ein besonderer Tag, warum sollte ich es da nicht erwähnen.
»Ich glaube, aus ihm wäre ein guter Mann geworden, Henry. Da bin ich mir sicher.«
Einen Moment lang ist eine betäubte Leere in unserer Verbindung, während wir über entgangene Chancen nachdenken.
»Komm doch einfach hier raus und wir besaufen uns«, sagt Henry abrupt. »Lula soll uns Enten am Spieß braten. Ich hab die Scheißviecher selber geschlachtet. Wir können uns ein paar Nutten kommen lassen. Ich hab ihre Privatnummern hier vor mir liegen. Und glaub ja nicht, daß ich sie nicht anrufe.«
»Das wäre wirklich was, Henry, aber ich bin nicht allein.«
»Du hast wohl selber eine fragwürdige Dame bei dir?« Henry lacht schallend.
»Nein, ein nettes Mädchen.«
»Wo übernachtest du denn?«
»Mitten in der Stadt. Ich muß morgen schon zurück. Ich bin heute geschäftlich hier.«
»Okay, okay. Sag mal, Frank, wie siehst du das, warum hat dich unsere Golferin eigentlich verlassen? Ganz ehrlich. Aus irgendeinem verdammten Grund geht mir das heute dauernd im Kopf herum.«
»Ich glaube, sie wollte ihr Leben einfach wieder selber in die Hand nehmen. Viel mehr war da nicht.«
»Sie hat immer geglaubt, ich hätte, was Männer angeht, ihr Leben ruiniert. Verdammt hart, so was gesagt zu bekommen. Ich hab noch keinem das Leben ruiniert. Und du auch nicht.«
»Ich glaube nicht, daß sie das heute noch so sieht.«
»Sie hat mir’s doch selber gesagt , erst letzte Woche! Ich bin froh, daß ich alt bin. Ich hab genug vom Leben. Du bist hier und bist es doch nicht.«
»Ich habe mich auch nicht immer so toll verhalten, Henry. Ich hab mir große Mühe gegeben, aber manchmal machst du dir was vor und siehst dich ganz falsch.«
»Das kannst du alles vergessen«, sagt Henry. »Gott hat Noah verziehen. Du kannst dir selber verzeihen. Wer ist denn deine fragwürdige Dame?«
»Sie würde dir gefallen. Sie heißt Vicki.« Vicki blickt strahlend herüber und prostet mir mit einem Glas Sekt zu.
»Bring sie mit, ich will sie kennenlernen. Was für ein Name. Vicki.«
»Ein andermal, Henry. Wir sind diesmal sehr knapp mit der Zeit.« Vicki blickt jetzt wieder aus dem Fenster, um das Hereinbrechen der Nacht zu verfolgen.
»Ich kann’s dir nicht verübeln«, sagt Henry unverblümt. »Weißt du, Frank, manchmal macht die Tatsache, daß du mit jemandem zusammenlebst, dieses Zusammenleben unmöglich. Irma und ich waren da nicht anders. Ich hab sie in einem Januar nach Kalifornien geschickt, und das war vor zwanzig Jahren. Sie ist dort viel glücklicher. Bleib also am besten da unten mit deiner Vicki.«
»Es ist schwer, einen anderen Menschen richtig kennenzulernen. Das geb ich zu.«
»Man fährt immer besser, wenn man annimmt, daß jeder zu jeder Zeit alles mögliche tun kann. Man ist vor Überraschungen sicher. Sogar meine eigene Tochter.«
»Ich wollte, ich könnte zu dir rauskommen und mich mit dir betrinken, Henry, ehrlich wahr. Ich bin froh, daß wir Kumpel sind. Von Irma soll ich dir erzählen, daß sie in Mission Viejo ›The Fantasticks‹ in einer wirklich guten Aufführung gesehen hat. Und daß sie dabei an dich denken mußte.«
»Irma?« sagt Henry. »Was ist das, ›The Fantasticks‹ ?«
»Ein Schauspiel.«
»Dann ist es ja gut, oder?«
»Soll ich ihr irgendwas ausrichten? Ich schreibe ihr wahrscheinlich nächste Woche. Sie hat mir eine Geburtstagskarte geschickt. Ich könnte was dazuschreiben.«
»Ich hab Irma eigentlich nie richtig gekannt, Frank. Ist das nicht ein Ding?«
»Du hattest eben ganz schön damit zu tun, die Brötchen zu verdienen, Henry.«
»Sie hätte Affären haben können, und ich hätte nicht mal was gemerkt. Ich hoffe, sie hatte welche. Ich hatte jedenfalls genug. Soviel ich wollte.«
»Ich würde mir da keine Gedanken machen. Irma ist glücklich. Sie ist siebzig Jahre alt.«
»Im Juli wird sie’s.«
»Was ist mit
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